Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Videoaufzeichnungen gibt. Es hätte also jede x-beliebige Person bedienen können, vorausgesetzt, sie verfügte über einen Schlüssel oder eine PIN.«
»Er ist alleinstehend«, überlegte die Kommissarin laut, »wer bleibt? Marion? Oder diese Sprechstundenhilfe? Das ist Blödsinn, oder?«
»Weit hergeholt zumindest«, bestätigte Seidel. »Hat er denn ein Motiv? Genau betrachtet hätte er eher von Wehners Ableben profitiert, oder?«
»Guter Ansatz, doch überleg mal …«, antwortete Julia pfeilschnell und erhob den Zeigefinger. »Tötet er Wehner selbst, riskiert er, dass Marion ihn hasst. Schiebt er ihm aber ein, zwei Morde in die Schuhe, ist sein Widersacher weg vom Fenster. Hat ja so in der Art schon mal funktioniert. Okay«, räumte sie sofort ein, »das ist arg konstruiert. Aber wir dürfen diese Hypothese nicht ignorieren, auch wenn ich Dr. Kühne nicht als dermaßen abgebrüht einschätzen würde.«
»Versteh einer die Männer«, grinste Doris und winkte lässig ab. »Meiner will plötzlich einen Motorradführerschein machen.«
»Warum ausgerechnet jetzt, doch nicht wegen der Ermittlung?«
»Wer weiß. Wenn dem allerdings so ist, wär’s mir lieber, wenn Kohlberger und Grabowski die Chefs zweier Tennisclubs gewesen wären.«
Donnerstag, 13:22 Uhr
U ngeduldig sah Julia Durant bereits zum dritten Mal in den vergangenen fünf Minuten auf ihre Armbanduhr. Ihr Herz pochte spürbar, und sie hoffte inständig, dass sie unter ihrem Blazer und der Jeans nicht auch noch zu schwitzen begann.
Die Kommissarin stand vor den wie Tapetenbahnen an der Wand des Konferenzzimmers angebrachten Papierbögen, auf denen die Namen sämtlicher Beteiligter in verschiedenen Farben notiert waren. Pfeile, Verbindungslinien sowie gelbe Haftzettel mit ergänzenden Notizen machten das Ganze einerseits zu einem bunten Durcheinander, aber zugleich spiegelte das Bild auch den unbefriedigenden Stand der Ermittlung wider. Julia nutzte die Stille und ließ ihre Erkenntnisse und Theorien noch einmal Revue passieren.
Marion Kühne (geb. Kohlberger):
symbiotisches Verhältnis zu Wehner
Biographie deutet darauf hin, dass sich kein gesundes Verhältnis zu männlichen Bezugspersonen entwickeln konnte
Bruder: Beschützer, aber auch Störfaktor in der Symbiose zu L.W.
ggf. manisch-depressiv oder Borderline-Persönlichkeitsstörung; Manie, die sie zum Mord an Kohlberger verleitet? Eher unwahrscheinlich
kein Alibi, aber auch kein erkennbares Motiv (materieller Nachlass des Bruders dürfte Ermordung nicht rechtfertigen)
Mord an Grabowski: Motiv vorhanden, da er sie als junge Frau vergewaltigt hat. Alibi keins, diesen Mord beging aber nach derzeitigem Ermittlungsstand Lutz Wehner
Wehner als Kühnes Handlanger?
Nein, dachte die Kommissarin, die Kühne hat einfach nicht die Persönlichkeit dazu. Sämtliche Recherche sowie das Telefonat mit Alina Cornelius zum Thema Borderline und manischer Depression sprachen ihrer Meinung nach gegen diese Hypothese. Warum sollte sie außerdem all die Jahre warten und dann plötzlich Rache wollen?
Alexander Kühne:
behandelnder Arzt von M. Kühne als Opfer sexuellen Übergriffs
wurde mutmaßlich von Kohlberger zu Stillschweigen genötigt
hielt Kontakt zu M.K., verliebte sich eigenen Angaben nach und heiratete sie. Heutige Beziehung unklar, gibt vor, sich um sie zu sorgen
Motive: Rache an Grabowski (er wusste aber angeblich nicht Bescheid); keines gegenüber seinem Exschwager
Alibis scheinen stimmig zu sein
Wehner: Rivale. Grund fürs Scheitern der Ehe (?)
Wenn man sich die Sache so ansieht, dachte Julia Durant, hätte alle Welt ein Motiv gehabt, diesen Wehner zu beseitigen. Hierzu solltest du diesen Kühne doch noch einmal befragen, beschloss sie und zog den dunklen Ärmel des Blazers hoch, um erneut auf die Uhr zu sehen. Sie erwartete Peter Brandt, der sich für halb zwei angekündigt hatte. Noch zwei Minuten, Zeit genug, um rasch zur Toilette zu eilen.
Vor dem rahmenlosen Spiegel überprüfte Julia ihr Make-up, besonders ihren sparsam aufgetragenen Puder oberhalb der Nase und der Stirnpartie. Doch die Poren waren trocken, es bestand kein Grund zur Sorge, auch ansonsten fühlte sie sich weniger unbehaglich als vorher. Die Kommissarin hatte am Abend noch einmal im Internet recherchiert, eine Tätigkeit, die ihr zunehmend leichter von der Hand ging, seit Michael Schreck, einer der Computerforensiker, ihren Laptop »entrümpelt« hatte, wie er es bezeichnete. Der Browser und das E-Mail-Programm, die
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