Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
an dessen linken Rand er seine Frau gesetzt hatte, damit sie wenigstens einmal am Tag aus ihrem trostlosen Rollstuhl herauskam. Denn Leonie war querschnittsgelähmt, und jegliche Hoffnung auf eine Rehabilitation oder zumindest auf die teilweise Wiederherstellung ihrer Mobilität war längst gestorben.
»Wollen wir?«, fragte er leise mit einem warmherzigen Lächeln. Dann fuhr er sanft mit den Armen unter Leonies Achseln und richtete sie vorsichtig auf. Die Handgriffe hatte ihm ein junger Zivildienstleistender erklärt, der im Auftrag des Pflegedienstes jeden Tag vorbeigeschaut hatte, bis seine Ersatzdienstzeit zu Ende gegangen war. Mittlerweile gab es keine Zivis mehr, zwischenzeitlich hatten Polinnen und Langzeitarbeitslose einen Teil der Arbeit übernommen, Menschen, die viel zu viel mit ihren eigenen Problemen belastet waren, als sich ausreichend sensibel um Fremde zu kümmern. Umso wichtiger waren seine persönlichen Besuche, so gefährlich sie auch sein mochten, wusste Al. Im Club teilte man möglichst wenig, am besten gar nichts von seinem Privatleben, denn wenn es hart auf hart kam, waren Angehörige die Ersten, die unter Druck gesetzt wurden. Dieser Gefahr durfte er Leonie nicht aussetzen. Ohne großen Kraftaufwand hievte Al sie in den bereitstehenden Rollstuhl. Ein weiterer Grund, um die alte Couch mit ihren hässlich abgewetzten Bezügen zu schätzen. Es lag zwar nicht an den Polstern, sondern an der Sitzhöhe des Möbels, aber neben den harten Holzstühlen am Esstisch oder in der Küche war es das einzige bequeme Sitzmöbel, in das er seine Frau ohne übermäßige Anstrengung setzen konnte.
Al vergewisserte sich, dass das Pillendosett, welches der Pflegedienst mit Leonies Namen und einem Dosierungsvermerk beschriftet hatte, ordnungsgemäß an seinem Platz stand. Nicht zu übersehen, wenn man den Raum betrat, weit genug von der Tischkante entfernt, dass es nicht hinabfallen und unter ein Möbel rollen konnte, aber zugleich so, dass Leonie es von ihrem Rollstuhl aus erreichen konnte, ohne gegen ein Tischbein zu fahren. Ordnung muss sein, es gab gewisse Dinge, die sich im Laufe der Jahre so gut eingespielt hatten, dass man sie nun nicht mehr zu ändern brauchte. In der Küche räumte Al das Geschirr in die Spülmaschine, stellte diese jedoch noch nicht an, da sie kaum zur Hälfte gefüllt war.
Gegen Viertel vor fünf schloss er die Eingangstür ab, stieg die Treppen hinunter und verriegelte nach ihrem Durchqueren auch die Pforte des dunkelbraunen Jägerzauns, der an zahlreichen Stellen einen grünen Moosbeschlag hatte. Prüfend wandte er sich noch einmal um, vergewisserte sich, dass die Fensterläden im Untergeschoss alle verschlossen waren, und stapfte anschließend über den mit nassem Laub bedeckten Waldweg zurück in Richtung Bahnhof Dreieich-Buchschlag, den er ohne Hast gerade rechtzeitig erreichte, um in die S4 zu steigen, die ihn zurück nach Offenbach brachte.
Montag, 15:33 Uhr
J ulia Durant beendete das Telefonat und blickte danach hinüber zu Peter Brandt, der ebenfalls sein Handy in der Hand hielt, aber noch sprach. Sie hörte ihn den Namen »Elvira« sagen und beschloss, nicht zu lauschen, um festzustellen, ob er mit ihr oder von ihr sprach. Sie schätzte die Staatsanwältin Elvira Klein aufgrund ihrer Geradlinigkeit und Zielstrebigkeit, und andersherum war es nicht anders. Zugegeben, Julia ging mit den Vorstellungen, die in den klobig eingerichteten Büros der Staatsanwälte meist herrschte, nicht immer konform, aber Brandt hatte ihr versichert, dass sie für ihre laufende Ermittlung in Elvira Klein keine Gegenspielerin zu befürchten hatten.
Soeben hatte auch er sein Gespräch beendet und ließ das Telefon in seiner Lederjacke verschwinden.
Er ging einige Schritte in Julias Richtung. »Sind wir so weit?«
»Klar. Wollen Sie was hören, worauf Sie im Leben nicht kommen würden?«, grinste Durant kess.
»Raus damit. Sonst erfahren Sie nie, ob ich eben mit Elvira beruflich oder privat geredet habe.«
»Das können Sie meinetwegen für sich behalten, solange es nicht ermittlungsrelevant ist«, gab Julia sich gelassen.
»Also?«
»Kullmer und Hellmer waren bei Lutz Wehner, er hat eine Autoverwertung und Werkstatt im Osthafen, ganz in der Nähe der Kaiserleibrücke übrigens.«
»Weiß ich doch längst«, drängte Brandt ungeduldig.
»Dass man von dort auf die Brücke steigen kann, wusste ich nicht, nur dass das Viertel nicht weit entfernt ist«, gab Julia zurück. »Aber gut. Er hat den
Weitere Kostenlose Bücher