Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
würde wieder geschehen, darüber machte Marion sich längst keine Illusionen mehr. Aus jenem vielsagenden »Du gehörst zu mir« aus ihren Jugendtagen hatte sich rasch ein »Du gehörst mir« entwickelt, welches Lutz Wehner bedingungslos einforderte, wann immer ihm danach war. Er hatte diese unbeschreibliche Macht über Marions Seele, der sie sich nicht entreißen konnte, sosehr sie es auch anstreben mochte. Im Grunde genommen war Lutz für die meiste Zeit ihres Lebens nicht einmal die schlechteste Wahl gewesen, die sie hätte treffen können. Mitbewerber gab es derzeit auch nicht viele. Keine, wenn man es genau nahm. Aber Lutz hatte sich verändert. Dort, wo früher wenigstens ab und an das Gefühl der Fürsorge entstanden war, waren heute nur noch Besitzansprüche und rohe Gewalt. Der Preis dafür, nicht völlig einsam zu sein?, dachte Marion verzweifelt. Nicht einmal mein Bruder ist mir noch geblieben. Sie spürte den schmerzhaften Kloß, der sich in ihrem Hals festgesetzt hatte und sich nicht lösen wollte. Langsam griff sie nach der dolchförmigen Scherbe des Flurspiegels, die neben ihr auf einem Handtuch lag, und hielt sie prüfend vor ihr von Hitze, Dampf und Tränen verquollenes Gesicht.
Montag, 21:34 Uhr
J edenfalls hat Michael uns jetzt endlich ins Vertrauen gezogen«, schloss Herbert Cramer seinen Bericht.
Julia Durant und Berger saßen stumm auf dem Sofa und sinnierten über das eben Vernommene nach. Die Kommissarin hatte sich als Erste so weit gesammelt, um eine Frage zu stellen. Cramers Bericht war kurz und prägnant gewesen, sie hatte sich weder etwas notiert noch zwischendurch nachhaken müssen. Ein Jurist durch und durch, der es gelernt hatte, Sachverhalte knapp und unmissverständlich darzulegen, dachte sie und räusperte sich.
»Danke für diese schonungslose Schilderung«, begann sie, »ich möchte das aber bitte noch mal durchgehen. Sie sagen, Ihr Sohn habe sich seit geraumer Zeit abgekapselt und sich mit mutmaßlich Kriminellen herumgetrieben. Können Sie das zeitlich eingrenzen?«
»Schätzungsweise zwei Jahre«, seufzte Cramer, und Julia warf einen forschenden Blick in Richtung seiner Frau. Diese nickte.
»Gut. Er geht in Frankfurt zur Schule, wieso Frankfurt?«
»Wir haben dort gelebt, als er aufs Gymnasium kam. Zeitweise zumindest«, erklärte Cramer. »Er hatte keinen leichten Start in die Pubertät, da wollten wir ihn nicht auch noch aus seinem Freundeskreis reißen.«
»Aber offenbar hat er ja nun ganz andere Freunde«, warf Julia ein.
»Sicher keine Gymnasiasten, das stimmt«, knurrte Cramer, und seine Frau ließ ein leises, aber empörtes »Herbert!« verlauten.
»Wieso? Ist doch wahr«, rechtfertigte er sich. »Alles hat mit dem Sitzenbleiben in der Elf begonnen. Das hätte nicht passieren dürfen.«
»Michael hat eine Ehrenrunde gedreht?«
»Nein, sitzengeblieben ist er. Das hat nichts mit Ehre zu tun, sondern mit Faulheit. Da gibt es auch nichts zu beschönigen.«
»Hm, okay. Ist er noch auf der Schule?«
»Er wollte es im Sommer hinschmeißen, aber wir haben ihn, nun ja, dazu bewegen können, das Abitur doch noch anzustreben«, erklärte Cramer umständlich.
»Geld?«, fragte Julia argwöhnisch.
»Ja. Das ist leider das Einzige, mit dem man ihn momentan zu fassen bekommt. Rat und Tat stehen nicht sonderlich hoch im Kurs, dabei … Ach, nicht so wichtig.«
»Schildern Sie nun bitte Ihr Verhältnis«, forderte die Kommissarin. »Ich möchte mir gern ein Bild der Persönlichkeit Ihres Sohnes machen, bevor ich mit ihm spreche.«
»Da gibt’s nicht viel zu sagen«, wehrte Cramer abwinkend ab. »Er hat hier alles, was das Herz begehrt, und könnte mit allem zu uns kommen. Nur Leistungsbereitschaft und Ehrlichkeit erwarte ich, das ist doch wohl nicht zu viel verlangt.«
»Warten wir ab, wie er dazu steht. Scheinbar hat er sich ja darauf zurückbesonnen, immerhin hat er Sie aufgesucht. Können Sie sich vorstellen, weshalb?«
»Vermutlich, bevor es noch schlimmer wird«, seufzte Cramer und fügte kopfschüttelnd hinzu: »Falls das überhaupt geht.«
»Er hat Ihnen gesagt, dass er an einem Überfall beteiligt war und Zeuge einer Schießerei wurde. Darüber hinaus hat er explizit betont, niemanden verletzt zu haben. Glauben Sie ihm denn?«
Herbert Cramer schwieg einige Sekunden, lange genug, um seiner Frau ein forderndes und missbilligendes »Herbert!« zu entlocken.
»Ja, na ja«, erwiderte er dann unschlüssig, »natürlich möchte ich ihm das glauben. Als Vater
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