Teufelsbande: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
stellt man sich doch vor sein Kind. Kennen Sie diesen alten Ohrwurm ›Der Papa wird’s schon richten‹?«
Julia neigte fragend den Kopf.
»Nun, ich kann doch nicht Verrat an meinem eigen Fleisch und Blut begehen«, redete Cramer zunehmend hektisch weiter, »vor allem nicht, wenn es um Kapitalverbrechen geht. Deshalb habe ich mich ja an Ihre Abteilung gewandt, bevor es eine offizielle Ermittlung gibt. Was sollen wir denn bloß tun? Ich bin stellvertretender Polizeipräsident, stellen Sie sich nur mal vor, wenn herauskommt, dass mein Sohn … oh Gott, ich glaube, ich brauche noch ein Glas.«
Mit diesen Worten erhob er sich und lief hinüber zu seinem Alkoholvorrat.
»Herr Cramer, Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet«, sagte Julia, als dieser mit einem randvoll gefüllten Glas zurückkehrte, das beim Laufen zweimal überschwappte. »Glauben Sie Ihrem Sohn, dass er sich keines Gewaltverbrechens schuldig gemacht hat, zumindest nicht direkt?«
»Als Vater möchte ich ihm natürlich glauben«, nickte Herbert Cramer leise, »aber als Polizei-Vize kann ich nur zu Gott beten, dass er auch wirklich die Wahrheit sagt. Genügt Ihnen das?«
»Fürs Erste schon.«
Julia Durant wechselte einen stummen Blick mit Berger, dann sprach sie weiter: »Herr Cramer, ich würde mich nun gerne mit Ihrem Sohn unterhalten. Am liebsten zunächst unter vier Augen, wenn das für Sie in Ordnung ist.«
»Ich denke schon. Er wartet oben, meinetwegen gehen Sie rauf. Es ist das Zimmer mit der unerträglichen Musik.«
»Herbert!«, sagte Elisabeth Cramer leise, aber mit vorwurfsvollem Ton.
Durant erhob sich und schritt dann in Richtung Treppe. Bedächtig durchquerte sie im Obergeschoss eine Art Galerie, von der sie hinab in den Flur und in einen Wintergarten blicken konnte. Das Dach war verglast, darüber erstreckte sich der sternenklare Nachthimmel. Noch immer drang laute Musik aus dem Zimmer am hinteren Ende, und die Kommissarin ballte daher ihre Rechte zu einer Faust, um kurz darauf mit den Knöcheln kräftig auf das hölzerne Türblatt zu klopfen.
Innen regte sich nichts, zumindest konnte Julia keine verräterischen Geräusche ausmachen, was aber hauptsächlich daran lag, dass die Musik unverändert laut weiterhämmerte. Nach einigen Sekunden klopfte sie erneut, noch etwas kräftiger, und drückte dann die Klinke hinunter. Sofort sprang im Inneren jemand auf, ein Stuhl fiel um, und ein gehetztes »Hee!« ertönte. Doch als der Junge den Kopf der Kommissarin sah, griff er umgehend zur Fernbedienung und schaltete die Anlage leise. »Dachte, es wäre mein Alter.«
»Darf ich reinkommen?«
»Klar.« Er zuckte lax mit den Achseln und hob seinen Drehstuhl auf, den er beim Aufspringen umgeworfen hatte. Julia nutzte die Gelegenheit, ihren Blick durch das geräumige Zimmer wandern zu lassen. Ein Bett, ein Schreibtisch, ein Kleiderschrank, der unter der Dachschräge eingebaut war. Poster von Slipknot, Korn und Limp Bizkit hingen an der breiten Wand am Fußende des Bettes, oberhalb des Fernsehers, auf dessen Bildschirm sie die eingefrorene Szene eines Ballerspiels erkannte. Die Bandnamen sagten der Kommissarin allesamt etwas, wobei der Musikstil ihr eindeutig zu hart war. Sie musste unwillkürlich an Peter Brandt und Norah Jones denken, und ihr Mundwinkel zuckte amüsiert.
»Das kann man nur laut hören, wie?«, sagte sie.
»Nichts für Sie, oder?«
»Nein«, lächelte Julia, »alles, was nach Bryan Adams kam, ist mir irgendwie zu hart. Aber ich lasse mich immer gern eines Besseren belehren.«
»Hm.« Michael Cramer zog sein T-Shirt zurecht, welches knittrig über dem Bund einer Baggyhose hing, die so tief saß, dass die Hälfte seiner Boxershorts herausschaute. Offenbar bemerkte er Julias Blick, zog die Hose nach oben und griff sich in die Tasche. »Ich darf doch rauchen, oder?«
»Meinetwegen. Ich habe selbst lang genug geraucht. Darf ich mich setzen?«
»Äh, klar.« Michael eilte zum Bett, rollte die Decke beiseite und wollte gerade darauf deuten, als er sich anders entschied und selbst Platz nahm. »Nehmen Sie den Stuhl.«
»Okay, danke. Herr Cramer, ich …«
»Mike. Bitte nur Mike.« Mit der Handfläche fuhr er sich über das kurzrasierte Kopfhaar, das bestenfalls zwei Millimeter maß und oberhalb der Ohren sogar völlig kahl geschoren war.
»Ist okay für mich«, nickte Julia, »also Mike. Nennen dich deine Kumpels im Club so?«
»Was für ein Club?«
»Reden wir nicht über den Motorradclub, bei dem du in letzter
Weitere Kostenlose Bücher