Teufelsengel
Jensch von mehreren Tätern aus, die wir in einem religiösen Umfeld vermuten«, überlegte Bert.
Rick nickte zustimmend, ließ sich jedoch beim Essen nicht stören.
»Wenn die fünf Mordfälle alle zusammenhängen, muss das bei den ersten dreien genauso sein.«
Rick grunzte beipflichtend.
»Wieso hatten dann nur Thomas Dorau und Sally Jensch ein Tattoo?«
»Vielleicht standen die andern ganz einfach nicht auf Tätowierungen.«
Das konnte stimmen. Manchmal interpretierte man zu viel in einen Sachverhalt hinein. Bert beschloss, sich dem Frühstück zu widmen, bevor es vollständig in Ricks Magen verschwand.
In einträchtigem Schweigen verzehrten sie alles bis auf den letzten Krümel. Der Tag war noch lang, und wer wusste schon, wann sie wieder etwas in den Magen kriegen würden.
Benommen rappelte Pia sich auf. Sie war allein im Zimmer, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, dass Vero und die andern gegangen waren.
Anscheinend hatte sie das Bewusstsein verloren.
Sie hatten sie auf das Bett gelegt und zugedeckt.
Wie fürsorglich.
Pia hatte einen bitteren Geschmack im Mund und taumelte ins Bad, um ihn loszuwerden. Sie putzte sich die Zähne und trank ein paar Schlucke Wasser. Dann wusch sie sich flüchtig, zog frische Wäsche und Kleidung an und kämmte sich die Haare. Sie bemühte sich dabei, dem verstörten Blick des fremden Mädchens im Spiegel auszuweichen.
Als sie wieder ins Zimmer trat, holte das Entsetzen sie ein.
Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Die Panik hielt ihren Brustkorb umklammert und schnürte ihr die Luft ab. Ihr Atem ging viel zu schnell. Keuchend lehnte sie an der kalten Wand.
Und wenn sie wirklich besessen war?
Wenn Vero recht hatte und ihr nur helfen wollte?
Sie hatte einmal einen schockierenden Film über eine Teufelsaustreibung gesehen. Der Exorzist. Sie hatte ihn für reine Fantasy gehalten. Doch dann hatte sie einen Artikel über Anneliese Michel gelesen, eine Studentin, die in den siebziger Jahren an den Folgen von mehr als sechzig Austreibungen gestorben war.
Der letzte Fall von Exorzismus in Deutschland, hatte die Überschrift gelautet.
Pia wusste jetzt, dass das ein Irrtum war.
Mühsam schleppte sie sich zum Fenster. Sie schlotterte am ganzen Körper. Vero hatte ihr einen kleinen Heizofen versprochen. Aber eine Weile musste sie die Kälte noch aushalten.
Er hatte ihr nicht erklärt, warum.
»Bitte, lieber Gott«, murmelte sie mit klappernden Zähnen. »Ich habe dich nie mit Kleinigkeiten belästigt. Aber heute wende ich mich an dich. Hilf mir, hier herauszukommen!«
Als sie nach draußen sah, zuckte sie zurück wie vom Blitz getroffen.
Im Schutz der Tannen schlich ein Mädchen durch den verschneiten Park. Immer wieder schaute es sich verstohlen um.
Pia kniff die Augen zusammen. Das konnte nicht sein. Das Fieber gaukelte ihr das bloß vor.
In diesem Moment zeigte das Mädchen für zwei, drei Sekunden sein Gesicht.
»Romy!«
Pia trommelte mit den Fäusten auf das starke Glas. Sie schrie und brüllte. Zog ihre Schuhe aus und hämmerte mit den Absätzen auf das Fenster ein.
Doch Romy war schon zu weit weg, um sie zu hören. Sie drehte sich nicht um.
Und dann war sie verschwunden.
Kapitel 22
Schmuddelbuch, Montag, 24. November, Diktafon
Ich trau mich nur zu flüstern und hoffe, das Gerät nimmt meine Stimme trotzdem auf. Wahnsinn. Ich bin wahnsinnig. Hab mich auf dem Klostergelände einsperren lassen. Das Tor ist zu.
Selber schuld, ich weiß. Vielleicht ist ja auch gar nichts dran an meinem mulmigen Gefühl, und an der nächsten Ecke begegnet mir ein lächelnder Mönch und lädt mich zu einem Stück Kuchen ein.
Keine Spur von Pia. Keine Spur von Snoop. Ich bräuchte mehr Zeit. Das Anwesen ist riesig. Es wimmelt bloß so von Gebäuden, Fenstern und Türen. Ich hatte mir das leichter vorgestellt.
Dahinten ist das Atelier von Bruder Arno. Und wenn ich einfach anklopfe und ihn in ein Gespräch verwickle? Hallo, Bruder Arno, ich kam gerade hier vorbei, und da dachte ich mir, ich schleich mich mal rein und schnüffle ein bisschen herum. Und wo ich schon mal da bin - ihr haltet nicht zufällig Pia hier gefangen? Und könnt mir sagen, warum Alice Kaufmann hat sterben müssen?
Ich wollte, ich wär schon wieder zu Hause.
Irgendwie war Bruder Arno vorbereitet. Etwas in ihm hatte auf Romy gewartet. Es überraschte ihn nicht einmal, dass sie sich auf dem Klostergelände befand, obwohl das Tor abgeschlossen war. Als er sie hinter seinem Atelier
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