Teufelsengel
Frau das bewältigen sollte. Sie schien vollständig in sich selbst abgetaucht, unfähig, in die Welt zurückzukehren.
Er kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf das winterliche Bild vor dem Fenster. Ein Krähenschwarm ließ sich auf den kahlen Zweigen nieder. Ihr Krächzen ließ Bert an Urlaube an der Nordsee denken, damals, als die Kinder noch klein gewesen waren und die Liebe zwischen Margot und ihm noch nicht verkümmert.
Und ans Alleinsein, an das er sich mühsam gewöhnte.
Fast war er eins geworden mit diesem Zimmer, dem Ausblick und der Frau an seiner Seite, als sie zu sprechen begann.
»Er hatte Probleme«, sagte sie leise. »Und schreckliche Angst.«
Bert saß absolut reglos, um sie bloß nicht wieder verstummen zu lassen. Er wagte nicht einmal, den Kopf nach ihr zu drehen.
»Und ich konnte ihm nicht helfen.«
Ingmar Berentz hatte allein in einer Wohnung am Chlodwigplatz gelebt. Wegen einer Mehlallergie hatte sich der Bäckermeister frühzeitig pensionieren lassen müssen. Damit war er schlecht zurechtgekommen.
Das war alles, was Romy über ihn wusste.
Sie betrachtete das von Abgasen geschwärzte Mietshaus, bevor sie sich ihm langsam näherte. Es stand in einem Meer von Straßenlärm und war in seiner Hässlichkeit fast schon wieder schön.
Acht billige Namensschilder, acht abgegriffene Klingelknöpfe. Nässeflecken am Mauerwerk und zu Romys Füßen, auf der obersten der drei Treppenstufen, eine eingetrocknete Substanz, die verdächtig nach Erbrochenem aussah.
Romy unterdrückte ein Würgen, als ihr der Geruch von Urin in die Nase stieg. Nach kurzem Zögern klingelte sie bei Sylvia Kaster im Erdgeschoss.
Die Frau, die ihr aufmachte, war ein wandelnder Widerspruch. Sie trug einen braunen Altfrauenrock mit schiefem Saum und eine pinkfarbene Bluse, die über den vollen Brüsten spannte. An ihren Füßen steckten ausgelatschte Pantoffeln in Leopardenoptik, und der Lack auf ihren kurzen Fingernägeln splitterte an den Spitzen ab. Ihre Haare jedoch waren frisch blondiert und penibel frisiert, und sie hatte sich sorgfältig geschminkt.
Sie hörte sich an, was Romy zu sagen hatte, warf einen unschlüssigen Blick zurück in ihre Wohnung und bat Romy dann widerstrebend herein. Sie bot ihr Platz auf einer riesigen Rundcouch in einem unaufgeräumten Wohnzimmer an und begann zu erzählen.
»Ich konnte den Berentz gut leiden«, sagte sie. »Er war einer dieser Männer, die vom Aussterben bedroht sind. Hat einem die Tür aufgehalten, war höflich und hat immer ein freundliches Wort für jeden gehabt.«
»Lebte er allein?«
Frau Kaster nickte. »Dabei war er so ein feiner Mensch. Das konnte man schon an seinem Gesicht erkennen. Es war nicht so … grob, die Züge nicht so … verwaschen wie bei den meisten Männern in seinem Alter.«
Romy fand diese Betrachtungsweise interessant, vor allem, weil Frau Kaster nicht viel jünger sein konnte als der Mann, über den sie hier redeten.
»Er hatte Stil, verstehen Sie? Wenn er vom Einkaufen kam, lag immer ein Strauß Blumen in seinem Korb. Ich bitte Sie - welcher Mann kauft sich schon selber Blumen?«
Stil war das, was dieser Wohnung fehlte. Die Einrichtung wirkte lieblos zusammengewürfelt, die Wände waren schmucklos und nackt. Ein Blumenstrauß hätte hier Wunder gewirkt.
Frau Kaster zündete sich eine Zigarette an. Sie nahm einen kräftigen Zug, inhalierte, hustete und wedelte den Rauch mit der freien Hand auseinander.
»Gut, das Zeug bringt einen um. Aber was hat’s dem Berentz geholfen, dass er Nichtraucher gewesen ist?«
Während sie rauchte, unterzog sie ihre Fingernägel einer gründlichen Inspektion. Romy machte nicht den Fehler, eine weitere Frage zu stellen. Konsequentes Schweigen brachte die Leute am schnellsten zum Plaudern.
»Ach ja.« Frau Kaster drückte den Zigarettenstummel aus, indem sie ihn wie eine lästige Fliege zerquetschte. »Da war noch etwas. Der Berentz hat ziemlich komisch geredet.«
»Komisch? Hatte er einen Sprachfehler?«
»Nein.« Frau Kaster schüttelte ungeduldig den Kopf. »Er benutzte dauernd Sprichwörter und so.«
Romy runzelte fragend die Stirn.
»Sprüche eben. Aus der Bibel. Friede sei mit euch und Lasset die Kindlein zu mir kommen und was weiß ich nicht alles. Ich meine, ich beschäftige mich ja schon lange nicht mehr damit, aber manches kam mir noch bekannt vor. Komisch, wie einen die Erziehung prägt, finden Sie nicht?«
Romy dachte an Alices Goldkettchen. Auch sie selbst hatte einmal ein
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