Teufelsengel
Englisch geholfen. Sie war Übersetzerin. Ich hab Englisch im Leistungskurs, und sie hat meine Facharbeit durchgeguckt. Sie war ne Klassefrau, das kannst du mir glauben.«
Er zog die Mütze vom Kopf und starrte finster darauf nieder.
»Sie sah toll aus. Und sie … merkte immer, wenn ich nicht gut drauf war.«
Romy bemerkte Tränen in seinen Augen. Trauerte so ein Hausbewohner?
»Verdammt!« Er zerknüllte die Mütze und strich sie wieder glatt, zupfte und zerrte sie krumm und schief. »Ich bring den Scheißkerl um, wenn ich ihn zwischen die Finger kriege!«
»Du hast sie sehr gemocht …«
»Ich hätte alles für sie getan.« Andy wich Romys Blick aus. »Alles.«
Die beiden Kellnerinnen, die sich an der Theke auf Italienisch unterhielten, lachten über irgendwas. Der alte Mann blätterte raschelnd um. Eine Ambulanz raste mit Blaulicht vorbei.
»Und Mona?«, fragte Romy. »Wie stand sie zu dir?«
Andys Finger, die mit dem halb leeren Colaglas gespielt hatten, versteiften sich. Und dann ging es blitzschnell. Das Glas kippte um und zerbrach mit einem knirschenden Geräusch, die Cola ergoss sich über den Tisch.
Die Kellnerin eilte mit einem Lappen herbei. »Dio mio«, sagte sie erschrocken. »Bist du verletzt?«
»Nichts passiert.« Andy hielt ihr, wie zum Beweis, die Hand hin. »Bloß ein Kratzer.«
Sie brachte ihm vorsichtshalber doch ein Pflaster, und Andy klebte es brav auf seinen Handballen. Die Scherben wurden aufgekehrt, die verschüttete Cola durch eine frische ausgetauscht.
»Mona war der einzige Mensch, dem ich wirklich wichtig gewesen bin«, sagte Andy leise und wie zu sich selbst.
»Hatte sie sich irgendwie verändert?«, fragte Romy vorsichtig. »Ist dir in letzter Zeit irgendwas … Ungewöhnliches aufgefallen?«
Er antwortete prompt. »Sie war auf einmal ständig unterwegs. War fast den ganzen Tag weg und oft auch abends.« Vorsichtig umfasste er das Colaglas mit der unverletzten Hand. »Und noch was war komisch. Sie hat ihr ganzes Leben vor mir ausgebreitet, hat mir von ihrer Kindheit, ihrer Ehe, ihrem Beruf erzählt. Und von heute auf morgen machte sie ein Geheimnis aus allem.«
»Hast du sie darauf angesprochen?«
»Klar.«
»Wie hat sie reagiert?«
»Sie hat mich angelächelt. Und geschwiegen.«
Andy stürzte die Cola in einem Zug hinunter. Das hatte etwas zutiefst Verzweifeltes. Romy sah ihm nachdenklich dabei zu. Hatte Mona sich mit ihrem Mörder getroffen? Hatte sie ein Verhältnis mit ihm gehabt? Hatte er sie aus dem Weg geräumt, nachdem die Affäre öffentlich geworden war? Oder bevor sie es werden konnte?
Andy setzte das leere Glas ab, wischte sich den Mund und schüttelte den Kopf.
»Vergiss es. Sie hatte keinen andern. Das hätte sie mir gesagt.«
»Kannst du Gedanken lesen?«
»Ich hab ja selber in die Richtung gedacht. Aber ich bin ganz sicher, dass es nicht so war. Mona hätte meine Gefühle niemals verletzt. Sie hätte mir gesagt, wenn es keinen Sinn mehr gehabt hätte zwischen uns.«
Ratlos sah Romy auf die Straße hinaus, auf die sich die Dämmerung senkte. Zwei Frauen huschten am Fenster vorbei, geduckt, verfroren, wie gejagt von dem Wind, der aufgekommen war.
»Mona ist im Stadtwald gefunden worden«, sagte sie leise, »und der Fundort war auch der Tatort, das habe ich recherchiert. Anscheinend kann sich aber keiner erklären, was sie dort zu suchen hatte. Sie war keine Joggerin, oder?«
»Nein. Vielleicht ist sie einfach im Stadtwald spazieren gegangen.«
Er hatte recht. Viele Kölner gingen im Stadtwald spazieren. Erst wenn ein Verbrechen ins Spiel kam, fing man an, hinter allem ein Motiv zu suchen.
»Hat denn die Polizei …«
»Die Bullen? Die haben eine Zeitlang sogar mich im Visier gehabt.«
»Dich?«
»Sie konnten sich unsere Beziehung nicht erklären. Aber das gelingt mir ja selber nicht.«
Er sah auf seine Uhr, erhob sich widerstrebend.
»Tut mir leid, ich muss los.«
Romy schaute ihm nach, wie er auf die Straße trat, die Mütze überstreifte, die Hände in den Taschen seines Parkas vergrub. Und aus ihrem Sichtfeld verschwand.
»Zahlen bitte!«
Romy wurde den Verdacht nicht los, dass die Geheimnisse, von denen Andy gesprochen hatte, Mona schließlich das Leben gekostet hatten. Sie schaltete das Diktafon aus und zog schaudernd die Schultern zusammen.
Kapitel 10
Schmuddelbuch, Donnerstag, 13. November
In meinem Wagen. Frustriert. Vielleicht habe ich mir zu viel vorgenommen. Einem Fuchs wie Ingo kann ich das Wasser eben doch nicht
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