Teufelsengel
sein.
Sie hatte solche Angst vor dem Nichts, zu dem er sie machen konnte.
Snoop, der zu ihren Füßen saß, knurrte leise.
»Schick ihn weg!«, befahl Vero.
Pia erschrak. Sie sollte Snoop wegschicken? Warum? Wohin? Und wie?
»Ich … kann nicht«, flüsterte sie.
»Du sollst ihn wegschicken!«
»Bitte … ich …«
Langsam kam Vero auf sie zu.
»Vater …«
Snoop legte die Ohren an, schoss nach vorn und verbiss sich in Veros Gewand.
Ohne ein Wort schnappte Vero ihn sich. Mit festem Griff hielt er den zappelnden, sich windenden, wie irre knurrenden Snoop im Nacken gepackt und trug ihn hinaus.
Pia wollte hinterher, aber sie konnte sich nicht von der Stelle rühren.
»Ich habe auf dich gewartet«, sagte Vero, als er wieder zurück war, und streckte die Hand nach ihr aus. »Lass uns beten.«
Romy lag wach und fand keinen Schlaf. Sie lauschte auf Cals Atemzüge, die tief und regelmäßig waren. Mondlicht floss ins Zimmer und gab den Gegenständen ein anderes Gesicht.
Das kleine Stück Welt vorm Fenster war wie in Silber getaucht.
Romy schloss die Augen und versuchte, an etwas besonders Angenehmes zu denken. Das war ein erprobtes Mittel, um ganz allmählich in den Schlaf zu sinken. Doch ihr fiel nichts Angenehmes ein. Ihre Gedanken kreisten unentwegt um die Morde.
Ihre Lider zitterten vor Anspannung, also machte Romy die Augen wieder auf. Cal hatte das schönste Zimmer der Wohngemeinschaft. Es war über zwanzig Quadratmeter groß und besaß einen Erker mit drei Fenstern.
Er liebte es, umzuräumen. Mal stand sein Schreibtisch im Erker, mal das Sofa, mal das Bett. Zurzeit war es das Bett, und Romys Blick fiel direkt in den Himmel, über den dünne Wolken zogen, die ab und zu den Mond verschleierten und sich mit seinem kalten Licht vollsaugten.
Tiefe Dunkelheit wäre ihr lieber gewesen als dieses bläuliche, ferne Licht, das ihr bis ins Mark drang und sie einsam und wehrlos machte. Sie drehte sich zu Cal um und schmiegte sich an seinen festen, warmen Rücken.
Eine halbe Stunde später wusste sie, dass es zwecklos war, weiter auf Schlaf zu hoffen. Sie rollte sich vorsichtig aus dem Bett, schlüpfte in ihre Kleider und stahl sich auf Zehenspitzen davon.
Cal hasste es, wenn sie mitten in der Nacht verschwand.
»Wenn ich neben einem Mädchen einschlafe, möchte ich auch neben ihr aufwachen«, sagte er, wenn es wieder passiert war. Und es passierte ziemlich oft.
Erst als Romy schon im Treppenhaus war, fiel ihr ein, dass sie ihm keine Nachricht hinterlassen hatte. Das würde Cal noch ärgerlicher machen, doch sie konnte es nicht ändern.
In ihrer Wohnung ließ sie die Rollos herunter und machte in jedem Zimmer Licht. Dann legte sie eine CD von Rosenstolz ein, drehte den Ton so leise, dass sie C.C. nicht aufweckte, der unter ihr im dritten Stock wohnte, und setzte Teewasser auf.
Es war kurz nach zwei. In den gegenüberliegenden Häusern war kein einziges Fenster mehr erleuchtet.
Romys Wohnung war nicht besonders groß. Sie hatte lauter schräge Wände und gemütliche Dachgaubenfenster, unter denen eine Brüstung entlanglief, die Romy als Fensterbank nutzte. Die beiden Zimmer und die Küche gingen ineinander über. Nur im Badezimmer gab es eine Tür.
Romy hatte die Wohnung gesehen und sich auf Anhieb in sie verliebt. Und obwohl sich das Haus, so nah am Brüsseler Platz, in einer äußerst begehrten Wohngegend befand, war die Miete erschwinglich. Das lag daran, dass der Zustand der Wohnung dem allgemeinen Standard schon lange nicht mehr entsprach.
Das Haus hätte einen frischen Anstrich vertragen können, innen und außen. Die Treppenstufen waren ausgetreten und schadhaft, die Fenster schlecht isoliert. Der Wasserdruck war kümmerlich, und wenn Romy Herd und Waschmaschine gleichzeitig einschaltete, flog die Sicherung raus.
Das alles konnte dem Charme des Hauses jedoch nichts anhaben.
Romy zog den Teebeutel aus dem Becher und setzte sich mit Alices Tagebuch in ihr Arbeitszimmer. Als sie es aufschlug, flatterte es in ihrem Magen, als sei ein Vogel darin gefangen.
Die Welt ist ihr immer fremd geblieben, hörte sie Frau Kaufmann sagen.
Aber Alice hatte es doch geliebt zu tanzen. Sie wollte Tanzlehrerin werden. Besuchte Discos. Verhielt sich so ein Mensch, der sich fremd fühlt in der Welt?
Urwaldgrüne Augen. Triste Klamotten. Eine pedantische Ordnung in ihrem Schrank. Der zauberhafte Pavillon mit seinen klaren Linien. Glaube und Tanz.
Lauter Widersprüche.
Die kleine, sparsame Tagebuchschrift
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