Teufelsengel
keiner für Corinnas Tränen interessieren würde, am besten für ihr Gespräch.
Corinna stimmte mit einem Nicken zu, und Romy verließ die Autobahn. Wenig später saßen sie sich im Rasthof bei einer heißen Schokolade gegenüber.
Romy war bis auf die Knochen ausgekühlt. Selbst in der Trauerhalle hatte sie gefroren, weil ständig Nachzügler die Tür aufgerissen und einen eisigen Luftschwall hereingelassen hatten.
»Was willst du wissen?«
Corinna nahm die Sonnenbrille ab und blinzelte im hellen Licht der Lampen. Ihre Augen waren fast zugeschwollen. Die Wimperntusche hatte sich aufgelöst und unter dem ständigen Reiben großflächig über die Wangen verteilt.
Ihr Aussehen schien Corinna nicht zu kümmern. Sie hielt den Becher mit beiden Händen umklammert und nippte vorsichtig an der Schokolade. Ihre Finger waren lang und so schmal, dass die Gelenkknochen deutlich hervortraten. Sie trug keinen Schmuck, bis auf einen silbernen Ring mit einem altmodisch gefassten Rubin von der Größe und Form eines Sonnenblumenkerns.
»Den hat Thomas mir geschenkt«, erklärte Corinna, die Romys Blick bemerkt hatte. »Er war so etwas wie ein Versprechen.«
Und dann hat Thomas sein Versprechen nicht gehalten, dachte Romy. Er hat die Beziehung aufgelöst und der Traum von der gemeinsamen Zukunft ist zerplatzt.
»Ich werde ihn niemals ablegen«, sagte Corinna und neue Tränen tropften in ihre Schokolade. »In meinem ganzen Leben nicht.«
Wie redete man mit jemandem, der soeben die Liebe seines Lebens begraben hatte?
»Nein«, sagte Corinna, als hätte Romy ihr eine Frage gestellt. »Es hat keine Anzeichen gegeben. Nichts hat darauf hingedeutet, dass Thomas mich verlassen würde. Ich war wie vor den Kopf geschlagen.«
»Hattet ihr danach noch Kontakt?«, fragte Romy. »Seid ihr Freunde geblieben?«
»Wir haben uns ab und zu noch gesehen, aber eine Freundschaft war nicht mehr möglich. Er hat dichtgemacht, hat mir nichts mehr erzählt, hat umgekehrt auch nichts mehr von mir wissen wollen.« Sie stellte den Becher ab und schaute durch die schmutzige Fensterscheibe auf den Parkplatz hinaus.
»Aber man geht doch nicht hin und macht mir nichts, dir nichts mit der Freundin Schluss.«
Corinna rührte mit einer beinah trotzigen Verzweiflung in ihrem fast leeren Becher. Ihr Gesicht war wie aus Porzellan. Um die Mundwinkel zogen sich zwei hauchfeine Falten.
»Er hatte kaum noch Zeit für mich. War dauernd unterwegs, auch ohne die Band. Zuerst hab ich gedacht, er hätte eine andere. Aber dann wär ihm doch das Herz übergelaufen vor Glück, verstehst du? Das Gegenteil war der Fall. Etwas hat ihn gequält, doch er hat mir nicht verraten, was das war.«
»Du bist ihm nicht irgendwann mal … gefolgt?«
Corinna warf Romy einen überraschten Blick zu. »Du meinst, ob ich ihm hinterherspioniert habe?« Angewidert kräuselte sie die Lippen. »Nee. Wir haben uns gegenseitig vertraut. Immer.« Sie setzte die Sonnenbrille wieder auf, schob ihren Stuhl zurück und ging zur Toilette.
Romy schaltete das Diktiergerät aus und schaute sich um. Reisende, allein und in Gesellschaft. Sie aßen und tranken oder saßen einfach nur da. Romy nahm den Geruch der Speisen wahr, den Duft der Parfüms und Aftershaves, das Besteckgeklapper und das Klirren der Tassen auf den Untertellern.
Nichts Ungewöhnliches.
Doch etwas störte sie. Etwas rumorte in ihrem Unterbewusstsein.
Erst als sie wieder im Wagen saßen, wusste sie, was es war.
Auch Mona Fries war vor ihrem Tod ständig unterwegs gewesen. Auch sie hatte ein Geheimnis gehütet, das sie Andy nicht anvertraut hatte.
Ein Geheimnis.
Wie bei Alice. Wer war der Liebste, über den sie nicht mal in ihrem Tagebuch hatte schreiben wollen? Und warum war sie so unglücklich gewesen?
Ein Geheimnis.
Endlich gab es einen gemeinsamen Nenner.
Bert hatte die Fotos von der Beisetzung Thomas Doraus auf seinem Rechner und studierte sie zusammen mit dem jungen Kollegen, der sie gemacht hatte. Rick Holterbach war in Köln aufgewachsen und hatte die Stadt nur für sein Studium verlassen. Er kannte Hinz und Kunz und war ein wandelndes Telefonbuch.
Sie waren beide für den Mordfall Dorau eingeteilt und würden in der nächsten Zeit eng zusammenarbeiten. Deshalb hatte Bert zugestimmt, als Rick ihm bei einem abendlichen Bier relativ schnell das Du anbot. »Der Kölner an sich ist nicht so förmlich«, hatte Rick gesagt und sein Bierglas gehoben.
»Der Kölner an sich«, hatte Bert erwidert und ebenfalls sein
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