Teufelsengel
musste es unterschiedliche Täter geben.
Zuerst hatte Pia trotzdem an einen Zusammenhang der Morde geglaubt. Sagte Vero nicht immer wieder, dass es da draußen von Feinden der Getreuen wimmelte? Konnte es nicht sein, dass es unter denen welche gab, die aus lauter Hass zu Mördern geworden waren?
Doch dann hatte Pia ihre Meinung geändert. Mona, Alice, Ingmar und Thomas hatten zwar zum inneren Kreis gehört, aber nicht im Kloster gelebt. Religiös motivierte Mörder hätten sich andere Opfer gesucht.
Einen der Brüder. Oder sogar Vero selbst.
Und wenn die Mörder … und wenn sie aus dem Kloster kamen?
Diesem Gedanken war Pia jedes Mal ausgewichen, denn wenn sie ihn zuließ, wem konnte sie dann noch trauen?
Die Mächte der Finsternis schrecken auch vor Mord nicht zurück.
So hatte Vero es ausgedrückt.
Die Mächte der Finsternis.
Pia hatte den Teufel und die Dämonen immer als ein Bild verstanden. Ein Bild des Bösen. Sie hatte es nicht für möglich gehalten, dass jemand wirklich an sie glaubte.
Doch Vero glaubte an sie.
Satan. Luzifer. Beelzebub.
In die Welt gefallen, um den Menschen mit sich in die Verdammnis zu reißen.
Das Böse lauert uns in mannigfaltigen Verkleidungen auf. Es überfällt uns, wenn wir es am wenigsten erwarten, und es verdirbt uns, ohne dass wir es merken. Ist es aber erst in uns, dann werden wir es nicht mehr los.
Ein Gleichnis, hatte Pia gedacht, wenn sie Vero so reden hörte. Nie hätte sie vermutet, dass er den leibhaftigen Teufel meinte.
Inzwischen wusste sie, dass sie sich geirrt hatte. Inzwischen sah sie die überlebensgroßen Skulpturen der Erzengel Michael, Gabriel und Raphael, die die Empfangshalle des Gästehauses zierten und den Eintretenden sozusagen unter ihre Fittiche nahmen, mit anderen Augen.
Überhaupt war ihr in letzter Zeit aufgefallen, wie oft Vero Gut und Böse mit Engeln und Dämonen gleichsetzte. Dabei hatte sie schon lange nicht mehr an Engel gedacht, nicht mehr, seit sie als Kind an ihren ganz persönlichen Schutzengel geglaubt hatte.
Der war irgendwann still und leise verschwunden.
Und nun sagte ihr etwas, dass sie ihren Schutzengel schleunigst bitten sollte, zu ihr zurückzukehren.
Snoop sah sie mit sorgenvoller Miene an. Pia setzte sich zu ihm aufs Bett. Als sie ihn hinter den Ohren kraulte, schloss er seufzend die Augen.
»Keine Angst«, versprach sie ihm. »Ich pass auf dich auf.«
Dabei war es der kleine Kerl, der ihr Halt gab. Selbst jetzt.
Pia stand wieder auf, wanderte im Zimmer umher, ihren Gedanken ausgeliefert. Glaubte Vero wirklich und wahrhaftig daran, dass es der Teufel war, der Mona, Alice, Ingmar und Thomas getötet hatte?
»Und wieso dann ausgerechnet diese vier?«
Snoop öffnete träge ein Auge. Und machte es wieder zu.
»Vero sagt, der Teufel sucht sich immer die schwächsten Stellen, um zuzuschlagen.«
Diesmal reagierte Snoop nicht. Er war eingeschlafen. Und recht hatte er, dass er sich ihr Gerede nicht länger anhören wollte.
Engel. Dämonen.
Zum Teufel damit, dachte Pia und musste grinsen.
Ihr Magen knurrte laut und vernehmlich. Vielleicht war es Teil ihrer Strafe, dass sie nichts zu essen bekam. Vero selbst fastete regelmäßig. Alle heiligen Männer fasteten.
Ihre Strafe …
Pia verschränkte die Arme vor dem Bauch, damit sie den Hunger nicht so spürte. Und das Schlingern der Angst. Vero würde sich bei ihrer Bestrafung ganz sicher nicht auf das Fasten beschränken.
Corinna Wagner. Ein Name wie ein Pseudonym, dachte Romy und musterte die junge Frau auf dem Beifahrersitz verstohlen. Das halbe Gesicht war unter einer überdimensionalen Sonnenbrille verborgen, die sie auch dann nicht abnahm, als sie sich die Tränen abwischte.
Seit sie losgefahren waren, weinte Corinna still vor sich hin. Noch auf dem Friedhof hatte Romy sie um ein Gespräch gebeten, und Corinna hatte nach kurzem Zögern zugestimmt.
»In einem Café?«, hatte Romy vorgeschlagen.
Corinna hatte genickt.
»Wo würdest du denn am liebsten …«
»Egal wo«, hatte Corinna sie unterbrochen. »Hauptsache, du bringst mich weg von hier.«
Romy kannte sich in Erftstadt nicht aus. Auf der Fahrt durch Lechenich kamen sie an einer Eisdiele vorbei, doch Corinna wirkte noch nicht ansprechbar. Also fuhr Romy weiter.
Zwischen Lechenich und Liblar bog sie auf die Autobahn Richtung Köln ab. Ein paar Kilometer bis zum Rasthof Ville. Vielleicht eignete sich so ein anonymer Durchgangsort, an dem sich niemand länger aufhielt als nötig und an dem sich
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