Teufelsengel
paar Vermutungen angestellt, auf die wir auch schon gekommen waren.«
»Wissen«, rekapitulierte Rick. »Geheimnis. Bibel. Gesetzessammlung. Lexikon. Welt der Bücher. Zauberbuch … Vielleicht war dieser Thomas Dorau einfach ein schräger Vogel mit merkwürdigen Vorlieben, und wir zerbrechen uns völlig sinnlos den Kopf.«
»Alles hat seinen Sinn«, widersprach Bert. »Und wenn es noch so unsinnig erscheinen mag. Wir müssen nur … anders an die Sache herangehen.«
»Anders.«
»Ja. Unvoreingenommen, verstehst du?«
»Das Tattoo zunächst mal unabhängig von dem Mord betrachten.«
»Genau. Da ist ein junger Musiker, der sich ein aufgeschlagenes Buch aufs Handgelenk tätowieren lässt. Wieso ein Buch? Wieso aufgeschlagen? Und wieso ausgerechnet am Handgelenk?«
»Weil da das Leben pocht?«
»Und weil das Buch für ihn das Leben ist.«
»Aber welches Buch kann eine so große Bedeutung haben?«
»Das Buch der Bücher.«
»Die Bibel.« Rick nickte. »Von allem, was wir uns überlegt haben, die wahrscheinlichste Möglichkeit. Und das bedeutet, dass Thomas Dorau plötzlich Gott entdeckt hat?«
»Warum nicht?«
»Und der holt ihn ein halbes Jahr später zu sich in sein Reich?«
Ricks Stimme triefte vor Spott. Er schien mit Religion und Glauben nicht viel am Hut zu haben. Bei Bert war es nicht anders. Sein Alltag brachte ihn mit so haarsträubenden Verbrechen in Berührung, dass er nicht mehr fähig war, einen gütigen Gott hinter alldem zu vermuten.
»Er kann schon lange religiös gewesen sein und sich irgendwann später zu diesem Tattoo entschlossen haben.«
»Keiner der Befragten hat von einer besonders tiefen Gläubigkeit des Toten berichtet«, wandte Rick ein.
»Stimmt. Wir sollten davon ausgehen, dass eine, wie immer auch geartete, Gottesbegegnung mit der Entscheidung für die Tätowierung zusammenhängt.«
»Gottesbegegnung«, murmelte Rick und klopfte mit dem Ende seines Kugelschreibers auf Berts Schreibtisch. »Gottesbegegnung. Gehörte der Tote überhaupt einer bestimmten Religion an?«
Bert blätterte in seinen Unterlagen. Als er wieder aufschaute, begegnete er Ricks belustigtem Blick. Wozu brauchst du eigentlich einen PC?
»Er war katholisch, ist jedoch mit siebzehn aus der Kirche ausgetreten.«
Bert sah in Ricks Augen seinen eigenen, eben erwachten Jagdinstinkt aufflackern.
»Und kauft dann an der Ecke vom Karstadt den Wachtturm und wird Mitglied bei den Zeugen Jehovas?«
»So etwa stelle ich es mir vor.«
»Das bedeutet wieder tagelanges Klinkenputzen.« Rick stöhnte, doch die Begeisterung in seinen Augen strafte sein Stöhnen Lügen.
Sie waren weitergekommen. Endlich. Und Berts Instinkt sagte ihm, dass sie sich nicht auf eine Sackgasse zu bewegten.
Kapitel 12
Schmuddelbuch, Freitag, 14. November
Greg ein paar Zeilen über die Beerdigung abgeliefert, kaum mehr als eine Randnotiz. Der Mord ist schon fast aus den Köpfen verschwunden. Die Halbwertszeit für Gewaltverbrechen beschleunigt sich rapide.
Anruf von Ingo. Er fragte mich mit einem süffisanten Grinsen in der Stimme, warum und wohin ich heute morgen so schnell verschwunden sei. Wahrscheinlich hat er mich mit Corinna gesehen …
Hab mich aus dem Gespräch gemogelt. Manchmal halte ich Ingo nicht aus.
Wieso heißt Friedhof eigentlich Friedhof? Wer sucht hier seinen Frieden? Die Toten? Oder die Hinterbliebenen?
Greg ist gereizt. Das hat er manchmal. Kommen Männer auch in die Wechseljahre?J
Trotzdem hat er mir erlaubt, noch einmal abzuschwirren, um zu recherchieren. Ich werde auf dem Weg kurz bei Cal vorbeischauen. Heute Abend fängt sein Workshop an. Da muss ich ihm doch Glück wünschen.
»Wer ist dafür?« Vero blickte in die Runde und beobachtete befriedigt, wie sich eine Hand nach der andern hob.
»Dagegen?«
Zwei Brüder meldeten sich, zögernd, wie Vero bemerkte, aber dennoch entschlossen. Bruder Arno und Bruder Matteo, der Jüngste und der Älteste unter ihnen, eine sonderbare Konstellation.
»Enthaltungen?«
Keine. Damit war klar, dass die Mehrheit Veros Entscheidung in Bezug auf Sally unterstützte. Nicht, dass er daran gezweifelt hätte. Ihm war noch nie wirklicher Widerstand begegnet.
Er löste die Versammlung auf und verließ den Raum als Erster. Bruder Matteo war inzwischen achtzig Jahre alt. Er war einer von der gütigen, freundlichen, verständnisvollen Sorte, immer für seine Schäfchen da, stets hilfsbereit. Negative Gefühle schien er nicht zu kennen. Nie hatte Vero ein böses Wort aus
Weitere Kostenlose Bücher