Teufelsengel
und Ernährers machen lassen.
Scheiß drauf, dachte Calypso und presste das Handy, aus dem immer noch die Schimpftirade des Vaters drang, ans Ohr.
»Du kannst mich mal«, sagte er laut und deutlich. Und genoss die verblüffte Stille.
»Wie bitte?«
»Mach’s gut, Vater«, sagte Calypso und drückte das Gespräch weg.
Er hatte seinen Vater nie zuvor Vater genannt.
Und nun fiel all das von seinen Schultern ab. Stufe um Stufe.
Ein ganzes Wochenende sollte der Workshop dauern. Die Teilnahme daran, vor allem aber das erfolgreiche Vorsprechen, waren die Voraussetzung für einen Ausbildungsplatz in der Schauspielschule. Aber zunächst mal musste Calypso ihn erfolgreich hinter sich bringen. Er würde auf vierzehn andere Teilnehmer treffen. Sie alle würden während des Workshops in der Schauspielschule wohnen.
In der Straßenbahn ließ Calypso sich auf einen Platz am Fenster fallen, klemmte sich die Tasche zwischen die Beine und schaute hinaus. Ihm war vor Aufregung schlecht.
Er nestelte das Handy aus der Jackentasche. »Hi, Süße«, sagte er leise, als Romy sich gemeldet hatte. »Bist du mir noch böse?«
»Ein bisschen.«
»Und wenn ich mich für mein bescheuertes Verhalten entschuldige?«
»Dann verzeihe ich dir auf der Stelle.«
»Ich war ein Idiot.«
»Stimmt. Und wo bist du gerade? Ich wollte nämlich kurz vorbeikommen, um dir für den Workshop …«
»Tut mir leid, Romy, aber ich hab’s zu Hause nicht mehr ausgehalten. Ich sitze mit Sack und Pack in der Straßenbahn.«
»Jetzt schon?«
»Lieber zu früh als zu spät.« Calypso schluckte. »Ich hab tierisches Lampenfieber.«
»Was ist wirklich los, Cal?«
Sie hatte einen sechsten Sinn für das, was schiefging in seinem Leben.
»Mein Vater hat angerufen.«
»Was hat er gesagt?«
»Lass mich überlegen.« Calypso machte eine kleine Pause. »Ich glaube, er sagte: Bla. Blabla. Blablabla.« Wieder legte er eine Pause ein. »Ja. So in der Art.«
Romy lachte. Calypso konnte gar nicht genug kriegen von ihrem Lachen. Am liebsten hätte er ihr ständig Witze erzählt, bloß um sie zum Lachen zu bringen.
»Ich wünsch dir Glück«, sagte sie. »Hau ihnen deinen Dorian Gray um die Ohren, dass es knallt.«
»Mach ich.«
»Ich hab dich lieb, Cal.«
»Und ich dich erst.«
Doch da hatte sie das Gespräch schon beendet.
Tobias Kamenz hatte höchst widerwillig einem Treffen zugestimmt und schließlich das Café in der Neumarkt Passage vorgeschlagen, weil er neben dem Studium halbtags in einem Büro gleich um die Ecke jobbte. Romy war zwanzig Minuten vor der vereinbarten Zeit am Neumarkt angekommen, hatte ein bisschen in der Buchhandlung nebenan gestöbert und sich dann im Café einen Cappuccino bestellt.
Sie hatten versäumt, ein Erkennungszeichen auszumachen, aber als Tobias das Café betrat, wusste sie sofort, dass er es sein musste. Er blieb stehen und schaute sich suchend um. Romy machte ihn mit einem Winken auf sich aufmerksam.
»Hallo«, sagte Alices ehemaliger Freund. »Ich bin Tobias.«
»Magst du auch einen Cappuccino?«, fragte Romy. »Ich lade dich ein.«
Tobias war zurückhaltend, fast abweisend. Er verrührte den Milchschaum, bis nichts mehr von ihm übrig war. Dann sah er Romy in die Augen. »Was willst du?«
»Die Wahrheit.« Romy wich seinem forschenden Blick nicht aus.
»Wieso interessiert dich die Wahrheit?«
»Meinst du im Allgemeinen oder in diesem speziellen Fall?«
»In diesem … speziellen Fall.«
»Eigentlich wollte ich nur Material für eine Story sammeln. Dann hat Frau Kaufmann mir Alices Zimmer gezeigt. Ich hab ihre Sachen gesehen und bin im Pavillon gewesen.« Wo ich ihr Tagebuch hab mitgehen lassen, dachte Romy und schämte sich vor sich selbst. »Irgendwie ist das plötzlich sehr persönlich geworden, und ich möchte herausfinden, warum Alice sterben musste und warum auf diese furchtbare Art und Weise.«
»Und dann?«
»Ich verstehe deine Frage nicht.«
Ungeduldig legte Tobias den Kaffeelöffel ab. »Was passiert, nachdem du es herausgefunden hast?«
»Dann schreibe ich darüber.«
»Es geht also doch nur um deinen Artikel?«
Romy bemerkte verwundert, dass die Situation sich verkehrt hatte. Sie hatte Tobias befragen wollen, und nun war er es, der die Fragen stellte.
»Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, es geht mir auch um Alice?«
Er verzog den Mund, als bereite ihm Romys Frage Schmerzen.
»Es stimmt aber«, sagte Romy. »Es geht mir auch um sie. Und um … die andern. Ich glaube, dass Alices
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