Teufelsengel
deutlichen Vision offenbaren - ihr Glaube stünde dennoch auf wackligen Füßen.
Es gab sie immer mal wieder im inneren Kreis der Gemeinschaft. Sie waren Prüfungen, die der Herr Vero und seinen Mitbrüdern schickte.
Und nun Pia.
Vero hatte neben ihr ausgeharrt. Stunde um Stunde. Die Nacht hatte sich herabgesenkt und sie eingehüllt, dunkel, machtvoll und still.
»Spürst du das Besondere dieses Augenblicks?«, hatte er leise gefragt.
»Ja«, hatte Pia geflüstert.
Aber Vero traute ihren Worten nicht mehr.
Etwas hatte ihr Herz schwer gemacht und ihre Gedanken vergiftet.
Jemand.
Vero kannte seinen Namen.
Es war immer das Böse, das in das Gute eindrang. Das Kranke, das alles Gesunde zerstörte.
Weiche, Satan!, hatte er gedacht.
Kalter Schweiß war ihm auf die Stirn getreten. Gleichzeitig schien in seinen Eingeweiden ein Feuer zu brennen.
Lass ab von diesem Mädchen. Lass ab von mir.
Stunden waren vergangen. Er hatte nicht mehr gewusst, ob Pia neben ihm noch betete oder ob sie kniend schlief. Sie hielt die Augen geschlossen. Das Kinn war ihr auf die Brust gesunken.
Wie Jesus in der Nacht vor seinem Tod, hatte Vero sich alleingelassen gefühlt von Gott und den Menschen.
Das hatte ihn zornig gemacht.
Er hatte sich tiefer über seine gefalteten Hände gebeugt. Nein. Er war nicht bereit für eine weitere Prüfung. Er war noch geschwächt von der jetzigen. Sie raubte ihm alle Kraft und zeichnete ihn für immer.
Vero hatte Pia an den Schultern gerüttelt.
»Bete!«, hatte er gebrüllt, und seine Stimme war durch die Kirche gebraust wie ein Orkan. »Bete!«
Pia hatte mit den Tränen gekämpft und ein Schluchzen unterdrückt. Doch Vero war mit seinen Gedanken schon ganz woanders gewesen, in einem Bereich der Finsternis, der so schrecklich war, dass er allen Mut zusammennehmen musste, um ihn zu betreten.
Der Raum war erfüllt von Stimmen und Frühstücksgeräuschen. Aus einem winzigen CD-Player auf einem gläsernen Sideboard floss klassische Musik, die jedoch keine Chance hatte, sich gegen den Lärmpegel durchzusetzen. Das helle Licht der Deckenlampen ließ Regenspuren an den Fensterscheiben sichtbar werden.
Ein üppiges, köstliches Frühstücksbüffet, und Calypso bekam kaum einen Bissen herunter. Er war so nervös, dass er schon mehrmals zur Toilette geflüchtet war. Jedes Mal war es blinder Alarm gewesen.
Anderen schien es ebenso zu ergehen.
Sie saßen alle in einem Boot.
An diesem Wochenende würden sie erfahren, ob ihr Talent für eine Ausbildung hier ausreichte. Die beiden Besten würden außerdem ein Stipendium ergattern.
Am Vorabend hatte der Leiter der Schauspielschule eine kurze Rede gehalten und sich für Fragen zur Verfügung gestellt. Das meiste jedoch hatte Calypso im Vorfeld schon herausgefunden.
Die Orson-Schauspielschule (nach dem Schauspieler Orson Welles benannt) war eine private Einrichtung. Die Ausbildung dauerte vier Jahre. Die Schüler konnten BAföG beantragen (das im Gegensatz zum Studenten-BAföG nicht zurückgezahlt werden musste) und ab dem dritten Jahr einen davon unabhängigen Bildungskredit. Die Unterrichtszeiten waren so gelegt, dass Nebenjobs sich bequem damit vereinbaren ließen.
Das alles kam Calypso sehr gelegen, denn es gab niemanden mehr, den er um Unterstützung hätte bitten können.
»Ich hab echt Schiss, du auch?«
Das Mädchen neben ihm schien ebenfalls keinen Appetit zu haben. Sie knabberte schon die ganze Zeit an einem halben Brötchen herum. Die eine Hälfte ihres Kopfs war rasiert, die andere mit stachlig abstehenden, pechschwarzen Haaren bedeckt. Ihre Unterlippe war gepierct, ebenso wie ihr linker Nasenflügel, und auch auf ihrer Zunge hatte Calypso ein Piercing entdeckt.
»Man weiß nie, wie die auf eine wie mich reagieren.«
Sie trug ein gemäßigtes Gothic-Outfit. Ihr weiß geschminktes Gesicht schimmerte wie das einer Geisha, Lippen und Nägel hatten die Farbe von Auberginen, und ihre silbernen Ketten und Armreifen klackerten bei jeder Bewegung aneinander.
»Das geht hier bestimmt jedem so.«
Calypso probierte ein zuversichtliches Lächeln, das sie tapfer erwiderte.
»Ich bin Lusina.«
Sie hielt ihm die Hand hin.
»Calypso.«
Ihre Hand war noch kälter als seine eigene.
»Abgefahrener Name.« Lusina grinste ihn an. »Selber ausgesucht?«
»Von einem Mädchen geschenkt gekriegt.«
Calypso grinste zurück.
»Und deiner?«
»Eigenkreation. Was bleibt dir anderes übrig, wenn du nach deiner Oma Herta heißt.«
Der Bann war
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