Teufelsengel
siehst aber gar nicht gut aus!«
Bruder Miguel warf sich das Geschirrtuch über die Schulter und zog Pia in seine geräumige Küche. Es duftete nach Ingwer und Mandelöl. Bruder Miguel war eigentlich gar kein Koch, sondern ausgebildeter Konditor und verwöhnte andere gern mit seinen Kreationen.
An diesem Wochenende waren keine Gäste im Haus. Solche Tage nutzte er häufig, um unbekannte Rezepte auszuprobieren und neue zu erfinden. Bruder Miguel war ein Künstler. Er schuf Kunstwerke aus Sahne, Creme und Teig, kandierten Früchten, Karamellgittern und Marzipan.
Pia war süchtig nach seinen Desserts, seinen Torten und Kuchen. Und sie mochte Bruder Miguel. Er hatte immer ein offenes Ohr für die Nöte seiner Mitmenschen, war einfach, freundlich und bescheiden. Wenn er lächelte, wurde einem warm ums Herz.
Besorgt musterte er Pias Gesicht.
»Alles in Ordnung mit dir, Mädchen?«
Pia nickte. »Ich hab bloß noch nicht gefrühstückt und bin halb verhungert.«
Bruder Miguel schnalzte nachdenklich mit der Zunge. Er warf einen Blick auf die große Uhr an der Wand. Seine Stirn legte sich in Falten.
»Bitte, Bruder Miguel. Ausnahmsweise.«
Er stellte keine Fragen, seufzte nur und schritt zur Vorratskammer, mit den fleischigen Fingern auf seinen mächtigen Bauch trommelnd.
Pia sah ihm an, dass er Bescheid wusste. Normalerweise fand die Morgenandacht der Brüder in der Kirche statt. Heute jedoch hatten sie wegen Vero und Pia in den Versammlungsraum ausweichen müssen.
Bruder Miguel klapperte mit Besteck und raschelte mit Papier. Er stellte die Kaffeemaschine an und begann vor sich hin zu summen. Wenig später hatte er ein leckeres Frühstück auf den Tisch gezaubert.
»Lass es dir schmecken«, sagte er und widmete sich wieder seiner Arbeit.
Pia aß, so schnell sie konnte. Sie hatte Snoop in ihrem Zimmer zurückgelassen und ihm eingeschärft, sich ruhig zu verhalten, aber der Hund war hungrig wie sie. Und wenn er auch den Eindruck machte, jedes Wort zu verstehen - er war ein Tier und folgte seinen Instinkten.
Es gab eine Reihe von Schuppen und Nebengebäuden auf dem Klostergelände. Vielleicht war es den Versuch wert, ihn dort irgendwo unterzubringen.
Der Einfall beflügelte Pia. Sie verspeiste in Windeseile das zweite Brötchen, wickelte das dritte mit ein paar Wurstscheiben in ein Papiertaschentuch und stopfte es sich in den Hosenbund. Dann zog sie den Pulli darüber und trug Teller und Tasse zum Geschirrspüler.
»Lass mal«, brummte Bruder Miguel. »Ich mach das schon.«
Er schob sie eilig zur Tür. Das verspätete Frühstück war ein Regelverstoß und konnte für sie beide unangenehme Folgen haben.
Zurück in ihrem Zimmer verschlang Snoop Wurst und Brötchen, leckte sich das Maul, machte es sich auf Pias Bett bequem und schlief zufrieden ein.
Pia setzte sich im Schneidersitz neben ihn. Sie war kurz davor gewesen, Bruder Miguel nach den Schreien zu fragen, doch dann hatte sie es bleiben lassen.
Diese Schreie. Sie hatten kaum menschlich geklungen.
Vielleicht ist es ein Tier gewesen, dachte Pia und fühlte schon Erleichterung aufkeimen. Dann aber wurde ihr klar, dass sie sich bloß selbst beschwichtigte. Sie kannte kein Tier, das solche Geräusche machte.
Die Haut in ihrem Nacken zog sich zusammen.
Es hielt sie nicht länger in ihrem Zimmer. Anscheinend hatte Vero sie vergessen. Gut. Vielleicht vergaß er auch, sie zu bestrafen.
»Jetzt finden wir erst mal ein sicheres Versteck für dich«, flüsterte sie Snoop zärtlich ins Ohr. »Sorgen machen wir uns später.«
Romy stand am Fühlinger See und schaute auf das gegenüberliegende Ufer. Wind war aufgekommen und trieb über das graue Wasser. Das stetige Rauschen der nahe gelegenen Autobahn erstickte jeden Gedanken an eine Idylle im Keim.
Es wäre ohnehin eine beschädigte Idylle gewesen. Befleckt vom Tod eines Studenten, der in diesem See ertränkt worden war.
Um die Stelle zu finden, hätte Romy Ingos Angaben nicht unbedingt gebraucht. Reste der polizeilichen Absperrung hingen noch an den Sträuchern und Baumstämmen wie traurige Überbleibsel eines Kindergeburtstags.
Romy hatte zwei plaudernde alte Damen überholt, war einem Jogger begegnet und hatte weit entfernt eine Gruppe von Jungen und Mädchen herumhängen sehen. Erstaunlich wenig Betrieb für einen Ort, an dem sich sonst sämtliche Hundebesitzer der Gegend ein Stelldichein gaben.
War es in den Abendstunden des sechsten November auch so einsam gewesen? Hatte niemand die Mörder
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