Teufelsfrucht
da der Vorfall erhebliche Wellen schlagen dürfte. Der Guide Gabin gilt als der bekannteste Gourmetführer der Welt. Manderscheid sagte, man werde eng mit der französischen Polizei zusammenarbeiten, um den Fall rasch aufzuklären.
Kieffer faltete die Zeitung zusammen, legte sie weg und seufzte vernehmlich. »Das ist eine Katastrophe! Was soll ich bloß tun? Das Image des ›Zwou Kierchen‹ ist ruiniert.«
»Ach, nur die Ruhe. Könnte schlimmer kommen. Der Artikel scheint die Sache halbwegs korrekt wiederzugeben. Mach dir keine Sorgen – solange sie nicht schreiben, dass er an deinem Essen gestorben ist. Und jetzt erzähl mir noch, was dieser Manderscheid gesagt hat.«
»Nicht viel. Er hat mich Mittwochmittag auf dem Präsidium noch mal befragt, offenbar machen die das gerne zweimal.«
»Wissen die schon, was diesen Ricard umgebracht hat? Ich tippe ja auf deine Pastete, die mit der Maronensoße. Die liegt mir auch immer ganz schön schwer im Magen.«
»Nicht komisch, Pekka. Nein, sie wissen es noch nicht – oder vielleicht haben sie es mir auch nur nicht gesagt. Manderscheid behauptet, die Obduktion habe noch nichts zutage gefördert. Und er hat noch mal betont, dass ich natürlich auch ein Verdächtiger sei.«
»Ach, das sagen sie immer. Die haben nichts gegen dich in der Hand, oh, du mein Leibkoch!«
»Woher willst du das so genau wissen?«
»Erstens bin ich Optimist, und zweitens ist es doch so: Wenn Gift in deinen Pastetchen gewesen wäre oder im Wein, dann hätten die flics es schon gefunden. So was kriegt sogar die kleine Luxemburger Polizei hin. Also für mich bist du aus dem Schneider, ich sprech dich frei. Darauf sollten wir einen heben. Komm, schenk deinem Kameraden ein.«
Kieffer griff nach der Flasche, stellte sie dann aber wieder ab. »Aus dem Schneider? Na ja. Pekka, sauf nicht so viel, ich brauch jetzt deinen Rat. Ich verstehe immer noch nicht, was der Gabin-Mann bei mir eigentlich wollte. Hat ihn jemand geschickt? Und wenn ja – wer?«
Vatanen lehnte sich zurück und blickte durch den Garten auf die vorbeifließende Alzette. Dabei drehte er das Glas in seiner Hand. Nach einer Weile antwortete er: »Wenn er nicht zufällig da war, was du ja ausschließt, dann gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Er wollte irgendwas mit dir besprechen oder dich anbohren, wegen Insiderinfos aus der Gastronomieszene.«
Kieffer schüttelte den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn.«Dann erzählte er Vatanen, wie abweisend sich Ricard ihm gegenüber verhalten hatte. »Der hat kein Gespräch mit mir gesucht, im Gegenteil. Und wenn er brandheiße Gerüchte aus der Szene hätte erfahren wollen – dann wäre er wohl besser in Paris geblieben oder meinetwegen nach Barcelona oder New York geflogen. Da spielt die Musik. Hier ist es … sehr ruhig.«
»Dann gibt es noch Variante drei«, sagte Vatanen und belegte ein weiteres Stück Weißbrot mit confit de moulard. Der Kritiker, so erläuterte der Finne kauend, sei tatsächlich beruflich in Luxemburg gewesen, um Kieffers Restaurant und die Qualität seiner Speisen zu testen.
»Entweder hat ihm sein Vorgesetzter den Termin reingedrückt, oder jemand anders – ein Gabin-Kollege oder einer seiner gastronomischen Kontakte – hat ihm den Tipp gegeben. Sicher scheint mir, dass es jemand ist, mit dem du schon mal zu tun hattest.«
»Warum?«
»Wegen der Visitenkarte. Die gibt es schließlich nur bei dir im Restaurant, richtig?«
»Stimmt.«
»Da du Ricard nicht mehr fragen kannst und Kommissar Manderscheid sich vermutlich ungern in die Karten gucken lässt, wäre es aus meiner Sicht das Beste, direkt beim Gabin anzurufen. Ricards Vorgesetzter könnte informiert gewesen sein – der Ressortleiter, der Chefredakteur oder was weiß ich. Hat der Guide Gabin einen Chefredakteur, Xavier?«
»Eine Chefredakteurin, soweit ich weiß.«
»Ha! Und ich dachte immer, Spitzenküche sei eine Männerdomäne. Wenn du mehr über deinen toten Gast wissen willst, scheint mir die Dame der beste Ansatzpunkt zu sein. Das ist vermutlich das Einzige, was du zurzeit tun kannst – außer im sonnigen Garten deines Hauses zu sitzen, Eau de Vie von Tasselbach zu trinken und dir von mir ein paar finnische Volkslieder beibringen zu lassen.«
Kieffer musste grinsen. Er griff nach der Obstlerflasche. »Vielleicht mache ich beides.«
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5
Das Ankunftsterminal des Aéroport Charles de Gaulle bereitete Kieffer Probleme. Wann immer er Paris besuchte, verlief er sich in dem
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