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Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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»Beton-Camembert«, wie Spötter das unübersichtliche Flughafengebäude nannten. An diesem Tag kam erschwerend hinzu, dass sein vom vielen Tasselbach noch immer etwas wattiger Kopf nicht mitspielte. Nachdem er drei ebenso blasierte wie gelangweilte Servicekräfte befragt hatte, gelangte er über eine Stunde nach der Landung seiner Luxair-Maschine endlich zu der unterirdisch gelegenen RER -Station des Flughafens und kaufte sich ein Billet für die Bahnfahrt Richtung Innenstadt.
    Erschöpft ließ er sich in einen der Abteilsitze fallen. Sein hochprozentiger Abend mit Pekka Vatanen war erst um zwei Uhr nachts zu Ende gegangen, und er erinnerte sich vage, dass sie im Garten luxemburgische und finnische Volkslieder gesungen hatten. Am Vormittag hatte er trotz seines Obstlerkaters die Nummer des Guide Gabin in Paris herausgesucht. Nach dem dritten Espresso hatte er sich zu einem Anruf durchgerungen und das Vorzimmer der Chefredakteurin verlangt.
    Dort war Kieffer zunächst bei einer unwirschen Assistentin aufgelaufen, die ihm beschied, Madame la Redactrice en Chef sei den ganzen Tag nicht zu erreichen – und auch in der kommenden Woche gestalte sich die Sache außerordentlich schwierig. Überhaupt sei es ratsam, etwaige Anliegen schriftlich an den entsprechenden Ressortleiter zu richten.
    Kieffer hatte sich ein bisschen über den hochnäsigen Tonfall geärgert, verwundert war er indes nicht. Wie viele Restaurantbesitzer oder PR -Leute versuchten wohl, die mächtige Gabin-Chefin auf ihr gastronomisches Angebot aufmerksam zu machen? Vermutlich mehrere pro Tag. Erst als Kieffer den toten Agathon Ricard erwähnte, versprach die Assistentin, seine Nachricht umgehend weiterzuleiten. Fünf Minuten später hatte sie zurückgerufen.
    »Monsieur Kieffer, Madame Gabin würde sehr gerne mit Ihnen sprechen«, säuselte die nun äußerst freundliche Sekretärin. »Persönlich. Passt es Ihnen heute Abend, gegen neun Uhr?«
    Kieffer war überrascht, ließ sich aber nichts anmerken. »Wo?«
    »Kennen Sie das ›Pied de Cochon‹? Nahe Les Halles?«
    »Ja, ich bin um neun Uhr da.«
    Zwei Stunden später hatte Kieffer bereits im Taxi zum Flughafen gesessen, um den Nachmittagsflug nach Paris zu erwischen. Kommissar Manderscheid hatte ihn zwar gebeten, das Land nicht zu verlassen. Aber er hatte es einfach darauf ankommen lassen – und erwartungsgemäß hatte ihn niemand aufgehalten. Am Luxemburger Flughafen gab es für Flüge nach Paris nicht einmal eine Passkontrolle.
    Nun schaute er aus dem Fenster des Regionalzugs. Die tristen Pariser Vorstädte zogen an ihm vorbei. Dass ihn die Gabin-Chefin persönlich würde treffen wollen, hatte er nicht erwartet. Kieffer wusste nur sehr wenig über seine Verabredung. Valérie Gabin war die Enkelin von Auguste Gabin, dem legendären Gründer des Gastronomieführers. Vatanen hatte ihm am gestrigen Abend versprochen, ihren Namen in eine Pressedatenbank einzugeben. Die Zusage war allerdings zu einem Zeitpunkt erfolgt, als die Obstlerflasche bereits gefährlich zur Neige ging – seitdem hatte sich der Finne nicht gemeldet.
    Ebenso wie der Wunsch nach einem persönlichen Treffen hatte ihn Gabins Restaurantwahl verwundert. Er war davon ausgegangen, dass die Chefin des mächtigsten Gastronomieführers der Welt ihn entweder in ihr mutmaßlich prächtiges Büro oder in ein bekanntes Edelrestaurant zitieren würde, ins »Le Cinq« oder ins »Lapérouse«, wo man Valérie Gabin sicherlich auch ohne vorherige Reservierung umgehend ein Separee zur Verfügung gestellt hätte. Stattdessen hatte sie eine Brasserie gewählt, eine recht bekannte zwar, aber keine, die man unbedingt als kulinarischen Höhepunkt bezeichnen konnte.
    Kieffer wechselte an der Gare du Nord in die Metro und checkte kurz darauf in einem kleinen Hotel nahe der Oper ein, das er seit Jahren frequentierte. Pariser Hotels waren wahlweise gammelig, überteuert oder voller Touristen – oder alles gleichzeitig. Das »Hôtel d’Antin« nahe der Synagoge war eine löbliche Ausnahme: preiswert, sauber und außerdem in Laufweite des achten Arrondissements, wo sich Europas wohl dichteste Ansammlung feiner Restaurants befand.
    Während er auspackte und duschte, überlegte Kieffer, ob er versuchen sollte, am morgigen Tag einen Tisch für ein Mittagessen in einem der umliegenden Sternerestaurants zu reservieren. Er hatte sich am Flughafen die aktuelle Frankreichausgabe des Guide besorgt und blätterte ein wenig in dem blauen Band. Vielleicht im

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