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Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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nichts damit zu tun.« Es klang sehr überzeugt.
    Sie steckte sich eine weitere Zigarette an und fuhr sich durch die Haare. »Entschuldigung. Seit dieser Sache rauche ich ununterbrochen.«
    Sie ist nervös, dachte Kieffer. Er verspürte Mitleid mit der jungen Frau und hätte ihr gerne geholfen. Sie war die Chefin des weltgrößten Gourmetimperiums, ein Job, auf den sie anscheinend nicht erpicht gewesen war. Sie saß vermutlich noch nicht allzu fest im Sattel – und nun musste sie plötzlich Krisenmanagement betreiben und dafür sorgen, dass das Image des altehrwürdigen Gabin keine Kratzer abbekam.
    Nach einem Moment des Schweigens sagte Valérie Gabin: »Es ist verrückt, oder? Seit wann bringt denn jemand Restaurantkritiker um?« Sie lächelte dünn. »Ich weiß, was Sie jetzt denken.«
    »Und was denke ich?«
    »Dass es um manchen Kritiker nicht schade wäre. Profiköche und Gastronomen hassen die Tester des Gabin und des Levoir. Ist doch wahr, oder? Aber in unserer hundertjährigen Geschichte hat, soweit ich weiß, noch nie jemand einen Kritiker wegen einer schlechten Rezension umgebracht. Eher sind es die Köche, die sich umbringen, wenn sie ihren Stern verlieren. Viele empfinden das als Kastration.«
    Der Vergleich gefiel Kieffer nicht sonderlich, aber im Prinzip hatte sie recht. Er erinnerte sich an einen Fall vor einigen Jahren, der durch die Presse gegangen war. Der Koch eines Restaurants in Toulouse hatte sich in seiner Küche erhängt, weil er aus dem Guide Gabin zu fliegen drohte.
    Der Kellner brachte eine südfranzösische Fischsuppe mit geröstetem Brot und rouille für Valérie Gabin. Kieffer bekam die Hausspezialität, einen im ganzen Stück gegrillten Schweinefuß mit Pommes frites.
    »Ich würde gerne wissen, wie sich das alles abgespielt hat«, sagte sie. »Ich muss herausfinden, was Ricard in den letzten Tagen gemacht hat. Die Sache schlägt bereits Wellen, so etwas ist schlecht fürs Geschäft.« Sie rührte unglücklich in ihrer Suppe. »Morgen muss ich zur Pariser Kriminalpolizei, und da möchte ich vorbereitet sein.«
    Während des Essens erzählte Kieffer Gabin bereitwillig in allen Einzelheiten von Ricards Besuch. Als der Kaffee serviert wurde, schaute Gabin ihn plötzlich durchdringend an. Kieffer bemerkte, dass sie grüne Augen hatte. »Xavier, darf ich etwas Persönliches fragen?«
    »Bitte«, sagte Kieffer und wischte sich zum wiederholten Male unter dem Tisch die feuchten Hände an seiner Hose ab.
    »Wieso sind Sie eigentlich kein Sternekoch?«
    Kieffer seufzte. »Ach, muss es denn immer haute cuisine sein?«
    »Nein, überhaupt nicht. Ich mag regionale Küche. Essen, das eine Seele hat. Und wenn ich in die Vereinigten Staaten fliege, dann stopfe ich mich immer mit dem ganzen fettigen Zeugs voll – corn dogs, Philly cheese steaks, po’ boys.« Als sie die amerikanischen Gerichte aufzählte, sprach sie mit einem breiten US -Akzent. »Aber ich frage, weil ich das hier im Archiv gefunden habe.«
    Gabin griff in ihre Tasche und zog ein etwas vergilbtes Stück weißen Karton hervor und reichte es Kieffer. Unter der Quellenangabe »Le Figaro, 14.07.89« klebte eine kurze Zeitungsmeldung:
    Luxemburger gewinnt Preis für junge Köche
    Paris – Beim diesjährigen »Concours du meilleur apprenti cuisinier d’Europe« hat der gebürtige Luxemburger Xavier Kieffer den ersten Platz belegt. Der 21-jährige Jungkoch aus dem Département Marne überzeugte die Jury aus acht europäischen Spitzenköchen bei der Endausscheidung in Nizza mit seiner makellosen ballotine de faisan au genièvre sowie seinen oranges soufflées avec meringue. Kieffer wird von Beobachtern eine große Zukunft vorhergesagt.
    Nachdem Kieffer den Ausschnitt gelesen hatte, legte er ihn vor sich auf den Tisch. Nach einem langen Moment des Schweigens sagte er: »Ich hätte es vielleicht gekonnt. Aber ich wollte es irgendwann nicht mehr.«
    »Aber Sie haben den wichtigsten kulinarischen Nachwuchspreis Europas gewonnen – was zumindest damals noch gleichbedeutend war mit der Welt. Ihr Weg war vorgezeichnet, Xavier.«
    »Gerade das«, erwiderte er lächelnd, »ist mitunter eine schwere Bürde, nicht wahr?«
    Nun war es an Gabin, erst einmal nichts zu sagen. Sie fuhr sich mit der Hand erneut durch die hellbraunen Haare und steckte sich eine weitere Gauloises an – die siebte, wenn Kieffer richtig gezählt hatte.
    »Ich glaube, ich verstehe, was Sie meinen. Ich hätte Sie das auch gar nicht fragen sollen, es geht mich nichts an.

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