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Teufelsfrucht

Teufelsfrucht

Titel: Teufelsfrucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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warum diese Frucht jedes Essen so lecker macht.«
    Er hörte, wie der Deutsche sich einen seiner Zigarillos ansteckte und gierig inhalierte.
    »Also, Xavier, pass auf. Du weißt doch, was Natriumglutamat ist?«
    »Natürlich, ein Geschmacksverstärker. Ist in so ziemlich allen Fertigprodukten drin. Und in dem Gros der Gerichte, die in Industrieküchen zusammengekocht werden. In Fast Food sowieso.«
    »Genau. Der japanische Forscher Kikunae Ikeda hat Glutamat Anfang des 20. Jahrhunderts aus Algen isoliert. Erst haben es lediglich die Asiaten verwendet, vor allem für Fisch- und Fleischgerichte. Inzwischen ist das Zeug überall, Köche lieben es und Lebensmittelkonzerne sowieso. Denn mit Natriumglutamat wird alles lecker. Selbst, wenn man minderwertige Zutaten verwendet. Außerdem essen Menschen mit Glutamat versetzte Speisen erwiesenermaßen schneller. Und sie essen mehr davon.«
    »Mir kommt das nicht in die Töpfe«, knurrte Kieffer. »Das hat in einer guten Küche nichts zu suchen.«
    »Eine sehr löbliche Einstellung, mit der du vermutlich ziemlich alleine dastehst in der Gastronomie. Aber sei’s drum, darauf wollte ich nicht hinaus. Weißt du, wie Glutamat funktioniert? Ich meine, wie es chemisch gesehen wirkt?«
    »Nicht so genau, Klaus. Ich nehme an, es wirkt irgendwie auf die Geschmacksknospen und gaukelt denen etwas vor.«
    »Falsch. Wie viel Ahnung hast du von Biochemie?«
    »Eigentlich gar keine. Du musst in kurzen, einfachen Sätzen mit mir sprechen.«
    Kieffer konnte einen tiefen Seufzer am anderen Ende der Leitung vernehmen. »Na gut. Dann also den Erstsemestervortrag. Natriumglutamat ist ein Salz der Glutaminsäure, die wiederum eine Aminosäure ist.«
    »Also ein Protein.«
    »Nicht schlecht. Ja, meistens trifft das zu, allerdings gibt es auch nicht proteinogene Aminosäuren. Aber lassen wir das. Wichtig ist Folgendes: Natriumglutamat gelangt über die Schleimhäute rasch ins Blut. Von dort, das hat man in Tierversuchen getestet, geht es dann direkt ins Gehirn. Es wirkt keineswegs auf deine Geschmacksknospen, verstehst du? Es wird von deinem Körper in Glutamin umgewandelt, also in sehr kleine Moleküle. Die überwinden die Blut-Hirn-Schranke mühelos.«
    »Ich weiß nicht, ob ich dir folgen kann. Wenn ich mit Natriumglutamat versetztes Essen zu mir nehme, dann gelangt der Aromaverstärker direkt in mein Gehirn? Und was macht er da?«
    »Na ja, er wirkt dort als Neurotransmitter. Ein Neurotransmitter ist ein biochemischer Stoff, welcher Informationen von einer Nervenzelle zur anderen über die Synapsen weitergibt. Glutamin ist einer der gängigsten Neurotransmitter. Er sagt deinem armen Gehirn zum Beispiel, dass die panierten Hähnchenabfälle, die du an einer Fast-Food-Bude gekauft hast, wahnsinnig lecker sind. Obwohl sie in Wahrheit schmecken wie frittierte Dachpappe.«
    »Dieses Zeug manipuliert mein Gehirn? Das wusste ich nicht.«
    »Tja, die meisten Menschen wissen das nicht. Ist möglicherweise auch besser so. Ob es gefährlich ist, darüber gibt es verschiedene Ansichten. Die Lebensmittelindustrie und der Gesetzgeber halten es für ziemlich unbedenklich. Glutamin komme schließlich ganz regulär im menschlichen Körper vor.«
    »Und, stimmt das?«
    »Klar stimmt das. Allerdings wird dem Konsumenten das Glutamin bei diesen Nahrungsmitteln in Dosen verabreicht, die viel höher sind als jene, denen wir normalerweise ausgesetzt sind. Deine Synapsen werden mit einer Überdosis dieser Neurotransmitter geflutet, das Gehirn wird regelrecht mit Glutamin zugeballert. Erst dadurch entsteht die Superlecker-Empfindung. Diese Überdosis kann freilich elementare Stoffwechselprozesse aus dem Gleichgewicht bringen. Vielen Menschen wird übel, man nennt das CRS .«
    »Das berühmte China-Restaurant-Syndrom?«
    »Bingo. Hohe Konzentrationen von Natriumglutamat können Herzklopfen, Migräne, Übelkeit oder Taubheitsgefühle im Nacken verursachen, bis hin zu einem schweren anaphylaktischen Schock. Und dann sind da, wie gesagt, weitere mögliche Stoffwechselstörungen. Weißt du, wie wir Übergewicht und Diabetes erforschen?«
    »An Amerikanern aus dem Mittleren Westen?«
    »Haha, nein. Wir verwenden Ratten. Sehr fette Ratten. Es ist allerdings nicht so einfach, einen Nager moppelig zu machen – selbst wenn man ihm ausschließlich fett- und zuckerhaltige Nahrung vorsetzt. Das reicht in der Regel nicht. Und deshalb«, Scheuerle machte eine Kunstpause, »injiziert man Jungratten Natriumglutamat. Dann gehen sie auf

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