Teufelsfrucht
sich stattdessen für Chinos, ein schwarzes Hemd und eine etwas abgetragene Lederjacke.
Für neun Uhr hatte er sich mit Valérie Gabin in einem hübschen kleinen Jugendstilcafé am Knuedler verabredet, einem Platz in der Oberstadt. Knuedler bedeutete Knoten, nach der Kordel der Kutte jener Franziskanermönche, die hier im Mittelalter ein Kloster betrieben hatten. Kieffer hatte als Abiturient in der Stadt als Fremdenführer gearbeitet und wusste derlei Sachen – falls die Pariserin nach dem Frühstück Lust auf eine kleine Stadtführung haben sollte, würde er mit ihr vom Knuedlerdurch die Altstadt bis zum Bockfelsen schlendern und dann mit dem Fahrstuhl in die Unterstadt fahren. Vielleicht könnte er ihr auch die Kasematten zeigen, jene labyrinthischen Befestigungsanlagen, die den Bock kilometerweit durchzogen.
Kieffer war ein bisschen erstaunt über sich selbst. Wann hatte er sich das letzte Mal derart viele Gedanken über ein Treffen mit einer Frau gemacht? »Du bass en Dreemer, Xavier«, brummte er zu sich selbst. »Du bass ze déck und ze al fir dës Madämmchen.«
Dann fuhr er in die Stadt. Als er kurz vor neun das Café betrat, saß Valérie Gabin bereits an einem Ecktisch im hinteren Teil. Sie trug Jeans und eines jener modischen amerikanischen Polohemden, die abgetragen und verwaschen aussahen, aber in Wahrheit neu waren.
Offenbar war sie schon länger hier. Vor ihr standen eine leere Schale café au lait, ein angebissenes Croissant und ein Laptop. Auf dem Tisch lagen Schriftstücke und Aktenmappen verstreut. Sie blickte auf und strahlte ihn an. »Xavier, guten Morgen. Sorry, ich musste schon einen Kaffee trinken und einen kleinen Bissen zu mir nehmen. Bin eine Frühaufsteherin, ich war bereits schwimmen und hab dann ein bisschen gearbeitet.«
»Guten Morgen, Valérie. Schön, dich zu sehen. War deine Veranstaltung gestern denn ein Erfolg?«
Sie rollte mit den Augen. »Langweilig war’s! Spitzenköche, Verbandsleute von der chaîne des rôtisseurs und so weiter. Wir sponsern die Veranstaltung. Im Wesentlichen ging es darum, eine Hundertschaft Food-Journalisten aus ganz Europa einzufliegen und, wie die Angelsachsen sagen, to wine and dine them. Nicht sonderlich interessant.«
Kieffer bestellte ein italienisches Frühstück mit viel Aufschnitt. Valérie überredete den Kellner, ihr pancakes mit Ahornsirup zu bringen, obwohl diese nicht auf der Karte standen.
»Die französische Kriminalpolizei ist inzwischen sehr aufgeregt, Xavier. Die Sache wird immer größer. Sagst du mir, was du herausgefunden hast?«
»Klar, aber was genau heißt ›immer größer‹?«
»Schau dir das hier an.« Einem ihrer Aktenhefter entnahm Valérie einen Stapel zusammengehefteter Blätter. Es waren Zeitungsausschnitte. »Reicht, wenn du den ersten liest, ist aus ›Le Monde‹ von vorgestern.«
Mysteriöse Brandserie in der Spitzengastronomie
Sternerestaurants abgebrannt – Besitzer verschwunden – Polizei noch ohne Spur
Von Jacques Perigot
Bordeaux – Der Landgasthof »La Chasse«, ein Gebäude aus dem 14. Jahrhundert, war der ganze Stolz des Städtchens Saint-Médard-en-Jalles westlich von Bordeaux. Das weit über die Grenzen des Départements Gironde hinaus bekannte Restaurant besaß einen Gabin-Stern, und sein Besitzer, der aus Korsika stammende Olivier Filucci, arbeitete hart daran, einen zweiten zu erringen.
Nun bietet sich in Saint-Médard-en-Jalles ein Bild der Verwüstung. In der Nacht des 6. September brannte »La Chasse« bis auf die Grundmauern nieder. Ursache war nachAngaben der Feuerwehr eine Explosion, die vermutlich durch eine defekte Gasleitung ausgelöst wurde. Spitzenkoch Filucci kam dabei ums Leben. »Es ist ein schreckliches Unglück. Eine Tragödie, sowohl menschlich als auch kulinarisch«, sagte Saint Médards Bürgermeister Edmond Laramy dieser Zeitung.
Aber handelt es sich wirklich um einen Unglücksfall? Die Kriminalpolizei hält offiziell noch an dieser Version fest, doch gewisse Zweifel sind angebracht. Nach Recherchen dieser Zeitung ist »La Chasse« nämlich nur eines von insgesamt drei Sternerestaurants, die alle kürzlich abbrannten.
Am 5. September ging das mit zwei Sternen ausgezeichnete »Renard Noir« in Châlons-en-Champagne in Flammen auf. Sein Besitzer, der berühmte Koch Paul Boudier, gilt seitdem als verschwunden. In der gleichen Nacht brannte auch das »Ti Breizh« in Plonéis, Département Finistère, ab. Auch hier gilt die Ursache als ungeklärt und der Besitzer als
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