Teufelsfrucht
vielleicht etwas zu weit getrieben hatte. Der Zustand seiner Garderobe war beklagenswert. Außer abgewetzten Cordhosen, ausgeleierten T-Shirts, von Wollmäusen okkupierten Pullovern und einigen Bluejeans, die schon vor der Einführung des Euro ihre Form verloren haben mussten, hatte sein Schrank kaum etwas zu bieten.
Am besten erhalten war das Trikot des Fußballvereins Spora Luxembourg – was daran lag, dass er seit bestimmt zehn Jahren kein Spiel seiner Mannschaft mehr besucht hatte. Inzwischen war es ihm zu klein, und den Verein gab es auch nicht mehr.
Immerhin besaß Kieffer zwei Boss-Anzüge nebst Hemden und einer schmalen Lederkrawatte. Diese Ausstattung hatte er irgendwann einmal in den Galeries Lafayette in Lyon erstanden. Sie datierte noch aus jener Zeit, als er Postenchef im »Renard« war und ab und zu aus geschäftlichen Gründen etwas Präsentables tragen musste. Damals war er jedoch 20 Kilo leichter gewesen.
Ein Blick in die Auslage des Herrenausstatters bestätigte ihn in seiner Entscheidung. Verglichen mit den Anzügen, die im Schaufenster ausgestellt waren, sahen seine breitschultrigen Jacketts grotesk aus. Und Lederkrawatten schienen inzwischen ebenfalls aus der Mode zu sein.
Weil er wenig Zeit hatte und um zwölf wieder in seiner Küche stehen musste, hatte sich Kieffer auf den Einkaufstrip so penibel vorbereitet wie auf seinen wöchentlichen Großmarktbesuch. Er winkte einen Verkäufer zu sich heran und überreichte dem verdutzten Mann eine Einkaufsliste.
Die nächsten 30 Minuten verbrachte Kieffer in der Umkleidekabine und probierte stöhnend und schwitzend die verschiedenen Hosen, Hemden und Jacketts an, die ihm der Verkäufer in kurzer Abfolge reichte. Als er fertig war, übergab er dem Verkäufer einen großen Stapel zerknitterter Kleidungsstücke und erklärte ihm: »Dieses Hemd nehme ich – je drei blaue, drei weiße, drei schwarze. Zwei von den Cordhosen, zwei Chinos, beige und schwarz. Und diesen Anzug – zwei Stück.«
Als er seinen Großeinkauf bezahlt hatte, schaute Kieffer auf die Uhr. Es war kurz nach elf. Er hatte das Shoppingcenter um Punkt zehn betreten. »Eine Stunde für eine komplette Garderobe ist nicht übel«, dachte er bei sich. Nun hatte er sich einen Kaffee verdient. Bei Lombard’s stellte er seine sechs Tüten ab, setzte sich an einen der Außentische des Bistros und orderte einen Noisette. Gerade als er begonnen hatte, ein wenig im »Luxemburger Wort« zu blättern, klingelte sein Handy. Es war Scheuerle vom Max-Planck-Institut.
»Guten Morgen, Klaus«, begrüßte Kieffer den Wissenschaftler. »So schnell habe ich gar nicht mit deinem Anruf gerechnet. Hast du etwa schon etwas?«
»Zunächst, was deine E-Mail angeht: Ich habe noch nie von diesem Keitel gehört. Mir ist bewusst, dass es ein paar solcher Foodscouts gibt, aber die haben in der Regel kein wissenschaftliches Interesse, sondern ein rein finanzielles. Darf ich fragen, wie du auf den Mann gekommen bist?«
»Ein ehemaliger Kollege von mir behauptet, dass dieser Keitel für den Koch gearbeitet hat, von dem die Frucht stammt. Deshalb wäre es recht plausibel, dass dieser Keitel das Zeug aufgetrieben hat.«
»Klingt logisch – es wäre sicherlich verdammt spannend, mit dem Typen zu sprechen. Ist er Deutscher? Der Nachname klingt so.«
»Nein, Amerikaner, glaube ich. Zumindest sitzt er irgendwo an der Westküste. Ich habe sogar seine Nummer, aber die ist tot. Und im Internet habe ich auch nichts über den Kerl gefunden.«
»Tja, da kann ich dir auch nicht weiterhelfen. Aber deshalb rufe ich auch gar nicht an. Es geht um die chemische Zusammensetzung eurer Wundermango – das ist mein ganz unwissenschaftlicher Arbeitstitel, sozusagen. Ich habe einige Überstunden eingelegt, aber es hat sich gelohnt.« Scheuerle klang aufgekratzt, seine Stimme war etwas heiser.
»Was die Sortenbestimmung angeht, tappen wir noch total im Dunkeln. Ich hatte ja bereits angedeutet, dass mir das Zeug noch nie untergekommen ist. Die chemische Zusammensetzung, zumindest im Groben, die haben wir allerdings ermittelt und sie dann durch den Rechner gejagt, sie mit allen wichtigen karpologischen Datenbanken abgeglichen.«
»Und?«
»Nichts.«
»Also ein großes Mysterium.«
»Genau, aber bevor du jetzt allzu enttäuscht bist, hör dir das hier an.« Er vernahm, wie Scheuerle mit irgendwelchen Papieren raschelte. »Die chemische Zusammensetzung von dem Zeug ist verdammt interessant, und ich habe auch schon eine Vermutung,
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