Teufelsjäger (Die Mark Tate-Saga) (German Edition)
beugte sich über ihn. Der Fremde wechselte ein paar Worte mit dem Bettler. Dann blickten beide in unsere Richtung. Nein, das war keineswegs ein Zufall! Ich hatte im Moment das Gefühl, eine eiskalte Hand würde nach meinem Herzen packen. Auch Don wurde jetzt auf den Vorfall aufmerksam. Ich glaubte, den Fremden zu kennen. Mein Gedächtnis funktionierte schon immer ausgezeichnet. Ich konnte mich darauf verlassen. Wenn ich mir einmal etwas gemerkt hatte, vergaß ich es so gut wie nie mehr. Sofort lebte ich die Situation wieder durch: Da war der alte Mann von heute morgen, der mich am Arm gepackt und zurückgehalten hatte, als ich dem Überfallenen hatte zu Hilfe eilen wollen. Der da vorn: Er war es in der Tat! Das runzelige Gesicht war auch auf die Entfernung hin unverwechselbar. Ich war vollkommen sicher.
Der Alte steckte dem Bettler etwas zu und eilte davon. Meine Gedanken wirbelten im Kreis. Was hatte das zu bedeuten? Was hatte der Alte von dem Bettler gewollt? War der Kranke uns nahe genug gewesen, um mitzubekommen, daß wir uns auf englisch unterhalten hatten? Dann war der Alte uns möglicherweise gefährlich. Er hatte mich wiedererkannt, wie ich ihn. Der Bettler hatte ihm die letzte Gewißheit verschafft, daß ich tatsächlich ein Fremder war. Ob der Alte mit den Kali-Jüngern paktierte? War er gar ein Spion von ihnen? Egal, auf jeden Fall bildete er einen kaum zu unterschätzenden Unsicherheitsfaktor. Und schon rannte ich los. Ich scherte mich den Teufel darum, ob ich damit nun Aufsehen erregte oder nicht.
Der Alte nahm verwirrt wahr, daß Don und ich ihm folgten. Don hatte sich mir selbstverständlich ohne Zögern angeschlossen. Verzweifelt versuchte der Inder, uns zu entkommen. Aber seine alten Beine machten nicht lange mit. Wir holten ihn spielend ein, bevor er in irgendeinem Schlupfwinkel untertauchen konnte. Beim erstenmal war er mir entwischt. Die Ereignisse hatten dies begünstigt. Diesmal jedoch bekam ich ihn zu fassen.
„Nein, Sahib!“ wimmerte er. „Tun sie mir nichts! Ich verehre Kali!“
„Aha“, knurrte ich, „dann habe ich mich also nicht in dir geirrt, wie? Du wolltest uns ans Messer liefern, habe ich nicht recht?“
Obwohl mein Griff recht unsanft war, beruhigte sich der Alte sofort wieder. Er lächelte sogar. Ich sah das mit Erstaunen.
„Dann ist ja alles gut“, murmelte der Mann und warf ängstliche Blicke in die Runde. „Ich schlage vor, wir verlassen die Straße, ehe einer der Kali-Spione auf uns aufmerksam wird. Die Jünger Kalis lauern überall.“
Ich war ein wenig verdattert, deshalb konnte er sich losreißen. Er winkte uns zu, und wir gingen hinter ihm her. Mehrere Minuten lang waren wir unterwegs, ehe wir vor einem Gebäude hielten, das eher einem Bretterverschlag glich. Da hinein führte uns der Alte. Wie vom Donner gerührt blieb ich auf der Türschwelle stehen. Das Innere der Hütte stand im krassen Gegensatz zum äußeren Erscheinungsbild. Es war nach indischem Geschmack kostbar eingerichtet. Der Alte schien das Elend seiner meisten Landesgenossen in keiner Weise zu teilen.
Er grinste über das ganze Gesicht, als er unsere überraschten Mienen sah. Wir traten in den Raum ein. Der Fremde verschloß die Tür hinter uns. Mißtrauisch waren wir ihm gegenüber längst nicht mehr, weshalb der Alte gleich mit der nächsten Überraschung aufwarten konnte. Wir hatten ihn auf jeden Fall total falsch eingeschätzt. Er holte nämlich einen großkalibrigen Revolver hervor, den er in seinen wallenden Gewändern versteckt gehalten hatte. Die Waffe erschien gepflegt wie das Innere seiner ganz und gar nicht bescheidenen Hütte. Es bestand keinerlei Zweifel darüber, daß sie mit tödlicher Präzision funktionierte. Ihr Lauf war genau auf mich gerichtet. Langsam hob ich die Arme über den Kopf. Mir dämmerte, woher der Alte seinen Wohlstand hatte: Ganz sicher nicht dank übertriebener Ehrlichkeit!
Er schien meine Gedanken zu erraten und grinste breit. Seine Hand mit dem Revolver zitterte nicht. Sie war völlig ruhig. Wir saßen in der tödlichen Falle, und mit Sicherheit waren wir nicht die ersten Touristen, denen es so erging.
Plötzlich wurde der Inder ernst. Er deutete mit der Waffe auf mich. „Wer sind Sie überhaupt?“ Sein Englisch war ausgezeichnet - viel besser, als anfangs gemimt.
„Ein Engländer“, wich ich aus.
„Das ist mir klar. Ich möchte mehr von Ihnen wissen. Ihren Namen zum Beispiel.“
„Und wieso? Wenn Sie uns nur ausrauben und töten wollen, brauchen
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