Teufelskreise (German Edition)
ihr lagen ein säuberlich gefalteter hellgelber V-Pullover und darunter eine gebundene Ausgabe von »Die Nebel von Avalon«. Meine erste Bekanntschaft mit König Artus. Neben dem Buch entdeckte ich drei Kassetten mit Rock ’n’ Roll aus meiner rebellischen Jugend. Unwillkürlich musste ich lächeln.
»Das ist schon besser«, sagte Nancy und setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber.
»Was?«
»Du lächelst.«
Ich nippte an meinem Apfelsaft. »Ich habe mich gerade an das Konzert in Cleveland erinnert, als Olivia die Tickets für die erste Reihe gewonnen hatte und du und Betsy dem Sänger eure –«
»Das weiß ich noch«, sagte sie schnell und erstickte weiteres Schwelgen in Erinnerungen im Keim. Ihr Glaube war so kontrollierend, ich hätte mich verbiegen müssen, um ihn zu respektieren. Es war nicht richtig. Unsere Freundschaft hatte sich grundlegend verändert, als Nancy religiös geworden war.
Wir rührten schweigend in unseren Getränken. Ich wippte ungeduldig mit dem Knie.
Die schwere Stille dauerte eine Minute, zwei.
Ich hob den Blick. Nancy saß stocksteif auf ihrem Sessel. Das Kreuz an ihrer Halskette glitzerte schwach in der schummrigen Beleuchtung. Ich ertappte mich dabei, dass ich mich fragte, ob das Symbol sie wohl auch gegen Vampire schützen sollte? Davon las man oft.
Ich musste unbedingt an etwas anderes denken als immer nur an Vampire.
Nancys Finger verkrampften sich um die Pappmanschette, die zum Schutz der Finger gegen die Hitze über die Becher geschoben wurde. Sie wirkte so erschüttert, als hätte ihr gerade jemand gesagt, dass ihr Hund von einem Auto überfahren worden sei. »Es ist weg«, sagte sie. »Das Gefühl von Freiheit. Frei von den Eltern – oder den Großeltern in deinem Fall. Einfach mit Freunden Zeit verbringen, die dich nicht verpfeifen oder dich hassen, weil du jung und naiv bist, weil sie genauso sind.«
Ich stimmte ihr zu. Ich hatte das Gefühl im College verloren, als die ersten Rechnungen zu bezahlen waren. Vielleicht war Religion für Nancy so etwas wie die ultimative Rechnung, die es zu begleichen galt.
»Warum ist es weg?«, fragte sie.
»Ich glaube, es hat etwas mit Erwachsenwerden zu tun, mit Verantwortung.«
»Das würde natürlich auch erklären, was mit Olivia und Betsy passiert ist.« Sie hätte es scherzhaft sagen können, aber es klang nur deprimierend.
»Wahrscheinlich.«
»Warum wir?«
»Weil wir akzeptieren, was wir tun müssen, und es einfach tun.« Ich dachte wieder daran, dass ich die Lustrata war.
»Man sollte doch meinen, dass das Erwachsenwerden und die Verantwortung einen irgendwie zeichnen.«
Unwillkürlich berührte ich meine Brust, wo Menessos sein Zeichen hinterlassen hatte, sein Stigma. Es war meins, weil ich verantwortlich für Theo war. »Das tun sie auch«, sagte ich. »Das Versagen und die Schmerzen haben innerliche Zeichen hinterlassen.«
Ich trank den warmen Apfelsaft aus und stellte die Tasse auf den Tisch. Das deprimierende Treffen hatte lange genug gedauert. »Nancy.«
»Nicht, Seph. Ich weiß, was du sagen willst, und ich bitte dich, tu es nicht.«
»Aber –«
Nancy lehnte sich vor, legte die Finger auf meinen Unterarm und sah mich flehend an. »Selbst wenn wir uns nie wieder sprechen werden, bleiben wir in unseren Herzen doch weiterhin Freunde, wenn wir uns jetzt nicht auf diese Weise Lebewohl sagen. Wenn wir es doch tun, schlagen wir die Tür zu unserer Freundschaft für immer zu, eine Tür, die wir nie wieder öffnen können.« Ihre Finger waren warm von dem Kaffeebecher.
»Vielleicht wäre es aber besser, wenn wir die Tür schließen würden.«
Sie richtete sich auf, und ihre warme Hand löste sich von meinem Arm. »War ich eine schlechte Freundin?«
Ich starrte sie an. Es fiel mir schwer, die Wahrheit zu sagen. »Nein. Aber ich.«
»Aber das stimmt nicht, du –«
»Ich hatte Geheimnisse vor dir. Geheimnisse, die alles zwischen uns geändert hätten.«
Sie musterte mich abschätzend, und ich spürte, wie sie innerlich von mir abrückte. Es war, als würde sich ihre erdrückende Aura zurückziehen. Ich konnte wieder leichter atmen. »Was meinst du?«, fragte sie.
»Glaub es mir einfach. Wenn du mich kennen, ich meine, wirklich kennen würdest, dann würdest du nicht mehr meine Freundin sein wollen. Du würdest schreiend davonlaufen und … « Ich hatte so laut und eindringlich gesprochen, dass Nancy die Augen vor Schreck aufriss, deswegen mäßigte ich meinen Ton etwas, als ich fortfuhr. »Ich bin es leid,
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