Teufelskreise (German Edition)
bewusst »aufzuhalten« und nicht »zu töten«, denn genau genommen waren sie ja bereits tot.
»Du bist hier die Journalistin. Du hast doch wohl sicher auch ein paar inoffizielle Quellen, oder?«
»Natürlich, aber du bist Geschäftsführerin eines Unternehmens in der Innenstadt. Da trifft sich bestimmt auch nicht gerade der Abschaum zum Plaudern.«
»Deswegen sagte ich ja auch ›inoffizielle Quellen‹. Arbeit allein macht auch nicht glücklich.« Sie senkte die Stimme. »Meine Quellen und ich spielen in demselben versteckten Sandkasten. Ich mag das. Und da wir gerade davon sprechen, ich komme noch zu spät.«
Ich ging ins Badezimmer und quetschte Zahnpasta auf meine Zahnbürste. »Das sollte keine Beleidigung sein.«
»Habe ich auch nicht so verstanden.«
»Danke, Theo … Und pass auf, dass kein Sand in deine Unterwäsche kommt.«
Sie lachte wieder. »Recht hast du. Dann ziehe ich sie vorher wohl besser aus.«
Ich verdrehte die Augen. »Auf Wiedersehen, Theo.« Ich legte auf, putzte mir die Zähne und fand ein paar Wattebäusche, die ich mir in die Ohren stopfte.
Zurück in meinem Zimmer zog ich eine Schublade der großen weißen Kommode auf und wählte ein Tanktop mit der Abbildung der Lady von Shalott. Nachdem ich mich umgezogen hatte, entfernte ich die Tagesdecke vom Bett, setzte mich auf die Matratze und streckte automatisch die Hand nach der kleinen Kette aus, um das Licht auf meinem Nachttisch zu löschen. Doch in der Bewegung hielt ich inne und starrte eines meiner wertvollen Besitztümer an: ein Foto des Mannes, von dem meine Mutter behauptet hatte, er wäre mein Vater. Das Bild war ursprünglich doppelt so breit gewesen, aber ich hatte die Hälfte mit meiner Mutter darauf abgeschnitten und in kleine Stücke zerrissen.
Ich berührte den Kristallrahmen nicht, denn das Scharnier der Rückwand war locker. Der Rahmen wurde nur von dem Deckchen, auf dem er stand, aufrecht gehalten.
Der Mann war Ägypter – er hatte dunkle Haut, schwarzes Haar und hellbraune Augen. Die hohen Wangenknochen und der wohlgeformte Mund über dem Kinn mit Grübchen verliehen ihm etwas kultiviert Männliches. Die geschwungenen Brauen ließen ihn geheimnisvoll und ein wenig gefährlich wirken. Seine Miene war ernst, aber in meiner Vorstellung lächelte er gern und hatte gerade und glänzend weiße Zähne.
Um den Hals trug er ein Amulett, das Anubis zeigt, den schakalköpfigen ägyptischen Gott der Toten. Sein Anblick hatte mich davon abgehalten, das Licht zu löschen. Obwohl das Foto auf dem Tischchen stand, seitdem ich hier wohnte – der Staub darauf war Beweis genug – , betrachtete ich es nicht jeden Tag. Ich hatte das Amulett ganz vergessen gehabt und daher mein Totemtier, den Schakal, nicht mit meinem angeblichen Vater assoziiert.
»… sie sind das, was ihre Wurzeln aus ihnen gemacht haben. Und sie können nie etwas anderes sein«, hatte Amenemhab gesagt, als er von den Blumen gesprochen hatte. Ich hatte nur an Nana und meine Mutter gedacht und seine Worte deshalb nicht ernst genommen. Aber da gab es ja noch die andere, unbekannte Seite meiner Familie. Meinen Vater.
Mit dem Wissen, dass es sich bei Lorries Mörder um einen Vampir handelte, hatte sich alles geändert. Ich zog an dem kleinen Kettchen der Lampe und die Steppdecke bis zu meinem Hals hoch. Dann spähte ich durch das Oberlicht hinaus in die Dunkelheit. »Arm der Gerechtigkeit« hin oder her, es kam für mich nicht infrage, einen Vampir zu jagen.
7
»Hallo?«
Das Schluchzen und die Schreie im Hintergrund waren so laut, dass ich Vivians Stimme nur schwer verstehen konnte. Das »Sei still!«, das sie jetzt brüllte, drang, wenn auch durch ihre Hand über dem Hörer gedämpft, allerdings selbst zu mir durch.
Ich war noch nicht einmal aufgestanden, sondern saß am Fußende meines Bettes in einem schrägen Sonnenstrahl und sah zu, wie kleine Staubkörnchen durch die Luft schwebten. Obwohl meine Ohren von der Watte juckten, hatte ich nicht viel geschlafen. Zwar hatte ich Poopsies Winseln nicht gehört, aber meine kreisenden Gedanken hatten mich nicht zur Ruhe kommen lassen. Immerhin hatte ich dafür jetzt eine Rede für Vivian parat. Und zwar eine gute.
Das Schluchzen wurde leiser, dann hörte ich, wie eine Tür zuschlug. »Hallo?«, sagte Vivian noch einmal. Sie versuchte ruhig und gefasst zu klingen.
»Vivian? Hier ist Persephone.«
»Was wollen Sie?«
Ich nahm den Hörer ans linke Ohr, um mir das rechte zu reiben. Das Schluchzen im Hintergrund
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