Teufelsleib
sehr ich mich gefreut habe, dass du mich an den Ermittlungen teilhaben lässt«, sagte Nicole lächelnd. »Es tut so gut, mal wieder Aktenluft zu schnuppern, auch wenn ich noch viel lieber im Büro wäre. Dieses Arbeiten mit dir hat mir gefehlt, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr. Ich liege oder sitze hier tagein, tagaus und habe immer nur diese verfluchte Krankheit im Kopf. Na ja, jammern hilft niemandem, mir am wenigsten. Kennst mich ja, ich geb so schnell nicht auf.«
»Ja, ich kenne dich. Mir wäre es auch lieber, wenn du so richtig dabei wärst. Heute war ich mit Elvira unterwegs, weil ich niemand anderen hatte oder, besser gesagt, wollte.«
»Ihr beide …«, sagte Nicole und lachte leise. »Erst wie Hund und Katze, und jetzt seid ihr unzertrennlich. Du hast endlich deinen Deckel gefunden, wurde ja auch mal Zeit. Manchmal glaube ich, der liebe Gott hat einen Heidenspaß daran, mit uns zu spielen.«
Brandt wurde mit einem Mal ernst. »Ich weiß, dass du an Gott glaubst. Aber auch jetzt noch, wo …?«
»Warum nicht? Nur weil ich krank bin? Du weißt doch, ich bin mit Gott groß geworden und werde ihn wegen meiner misslichen Lage nicht verleugnen. Hört sich vielleicht seltsam an, aber gerade jetzt fühle ich mich ihm näher als je zuvor. Ich erinnere mich noch, wie meine Großmutter wenige Augenblicke vor ihrem Tod auf dem Sterbebett mit verklärtem Blick gesagt hat, dass sie jetzt ins Licht geht. Ich werde das nie vergessen. Ich habe keine Angst vor dem, was kommt, auch keine Angst vor dem, was danach sein wird. Martin und Sajani haben mehr Angst als ich. Aber sie werden klarkommen, wenn ich nicht mehr da bin.«
»Die Frage war blöd, entschuldige.«
»Ach komm, du brauchst dich nicht zu entschuldigen, ich bin fast sicher, wärst du an meiner Stelle, würdest du auch nicht hingehen und Gott oder das Leben verfluchen. Du würdest wie ich kämpfen und jeden Tag genießen, an dem es dir gutgeht. Heute habe ich einen ausgesprochen guten Tag, was morgen sein wird, das weiß nur der Himmel.«
»Ich bewundere dich.«
»Danke, und lass uns in Zukunft nicht über solche Dinge philosophieren. Was ich habe, kann mir keiner nehmen, ganz gleich, was es ist. Außer materielle Dinge, aber die bedeuten mir nichts mehr. Und nun hör auf, so ein Gesicht zu ziehen, das steht dir nicht.«
Brandt packte die Unterlagen wieder in den Pilotenkoffer und sagte: »Die paar Stunden bei dir haben mir gutgetan.«
»Mir auch. Ich hätte nichts dagegen, wenn du wieder vorbeischauen würdest. Mit oder ohne Arbeit. Es gibt Tage, da langweile ich mich zu Tode.«
»Versprochen. Und ich werde dich auf dem Laufenden halten und um Rat fragen, wenn ich nicht mehr weiterweiß.«
»Was macht eigentlich Bernie? Ich habe ewig nichts von ihm gehört. Hat er Angst vor mir?«
»Er hat dich nicht angerufen?«, fragte Brandt überrascht. »Ich hab ihm doch von meinem Besuch am Donnerstag erzählt und war sicher, er würde sich bei dir melden.«
»Hat er nicht. Richte ihm trotzdem einen schönen Gruß von mir aus.«
»Mach ich. Er ist in letzter Zeit ziemlich merkwürdig drauf. Keine Ahnung, was mit ihm los ist. Tja, ich mach mich dann mal vom Acker. Pass auf dich auf«, sagte er und umarmte Nicole. »Und nochmals vielen, vielen Dank. Soll ich unten Bescheid sagen, dass ich gehe?«
»Wär vielleicht nicht schlecht. Bis bald.«
»Ich melde mich, sowie ich Neuigkeiten hab oder nicht mehr weiterkomme. Ciao, meine Liebe.«
»Ciao, mein Lieber. Und einen ganz herzlichen Gruß an Elvira. Sie darf übrigens auch gerne mal mitkommen.«
»Das wird sie bestimmt.«
Brandt ging nach unten, verabschiedete sich von Nicoles Mann und Tochter, winkte oben noch einmal Nicole zu, die sichtlich aufgekratzt war, und ging zu seinem Wagen, dessen Scheiben ringsherum vereist waren. Er holte das Enteisungsspray aus dem Handschuhfach, besprühte die Scheiben, wartete einen Moment, startete den Motor und ließ die Scheibenwischer für ein paar Sekunden laufen.
Es war 21.50 Uhr. Eigentlich hatte er direkt nach Frankfurt zu Elvira fahren wollen, doch nun beschloss er spontan, Pfarrer
Winkler noch einen kurzen Besuch abzustatten. Er hatte nur eine Frage, die er unbedingt noch heute beantwortet haben wollte.
Knapp sieben Minuten waren vergangen, als er vor der Kirche parkte. In Winklers Wohnhaus brannte hinter mehreren Fenstern Licht. Winkler öffnete rasch nach dem Klingeln.
»Herr Brandt, was führt Sie zu so später Stunde zu mir?«
»Nur eine
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