Teufelsleib
Frage. Darf ich kurz eintreten?«
»Sie dürfen auch länger. Einen Tee zum Aufwärmen?«
»Nein, danke, ich will gleich weiter.«
»Kommen Sie mit in mein Büro. Ich bin noch damit beschäftigt, die morgige Predigt zu überarbeiten. Nicht doch einen Tee?«
»Nein, wirklich nicht.«
Brandt setzte sich. »Ich hatte Sie heute Nachmittag gefragt, ob der Täter bei Ihnen die Beichte abgelegt hat, was Sie entschieden verneint haben …«
»Richtig«, antwortete Winkler, der mit einem Mal wieder kühl und abweisend wirkte.
»Nun, ist es möglich, dass er die Beichte abgelegt hat und Ihnen von seinen, sagen wir Vergehen durch die Blume berichtet hat?«
»Nein, ich kann mich an nichts Derartiges erinnern«, antwortete er schnell, zu schnell, wie Brandt empfand. »Und das ist die Wahrheit, so wahr mir Gott helfe.«
»Dann eine andere Frage, die Sie mir, ohne das Beichtgeheimnis zu verletzen, beantworten können: Hat eine der ermordeten Frauen oder vielleicht sogar alle drei bei Ihnen die Beichte abgelegt? Ich will nicht wissen, was sie gesagt haben, ich will nur ein Ja oder Nein hören.«
Winkler senkte den Blick und führte den Becher Tee an den Mund. Schließlich sagte er: »Ich wundere mich, dass Sie mir diese Frage nicht schon vorhin gestellt haben. Ja, es gab drei Damen, die die Beichte abgelegt haben.«
»Herr Winkler«, sagte Brandt mit drohendem Unterton, es brachte ihn auf, dass er ihm wieder nur vage antwortete, »ich möchte nur wissen, ob es sich um
die
drei Damen handelt, nämlich Anika Zeidler, Bettina Schubert und Linda Maurer.«
»Ja, sie waren bei mir.«
»Sie waren also bei Ihnen. Und warum haben Sie dann vorhin behauptet, das Gesicht von Bettina Schubert zwar schon einmal gesehen zu haben, sie aber keiner bestimmten Situation zuordnen zu können? Warum haben Sie nicht gleich die Wahrheit gesagt?«
»Dafür entschuldige ich mich in aller Form, aber ich habe das Gesicht nicht sofort erkannt. Im Beichtstuhl ist es nicht gerade hell, und …«
»Ich hätte jetzt doch gerne einen Tee. Und dann unterhalten wir uns in aller Ruhe.«
»Hat das nicht Zeit bis morgen oder übermorgen? Ich habe Ihre Frage doch nun beantwortet.«
»Nein, es muss jetzt sein«, entgegnete Brandt scharf. Er war müde, er hatte einen langen und anstrengenden Tag hinter sich, aber er würde erst gehen, wenn Winkler ihm Rede und Antwort gestanden hatte.
»Bitte, wenn es denn sein muss«, sagte Winkler, erhob sich und holte einen zweiten Becher Tee.
»Danke«, sagte Brandt und nahm den Becher in die Hand. »Und nun möchte ich von Ihnen wissen, inwieweit in Ihrer Gemeinde bekannt ist, dass drei Frauen, die doch recht regelmäßig die Messe besucht haben, der Prostitution nachgegangen sind. Und ich erwarte von Ihnen eine klare und ehrliche Antwort.«
»Es war und ist meines Wissens nicht bekannt. Ich habe auch mit niemandem darüber gesprochen, wie Sie sich denken können.«
»Irgendwie leuchtet es mir nicht ein, dass alle drei Frauen gebeichtet haben. Warum, glauben Sie, haben sie es getan?«
»Darauf darf ich Ihnen nur eine unverbindliche Antwort geben, oder noch besser, versuchen Sie doch selbst, die Antwort zu finden. Stellen Sie sich vor, Sie würden ein solches Leben führen, auf der einen Seite bieder, in armen Verhältnissen, was jeder weiß und auch denken soll, auf der andern Seite ein Leben abseits der Gesellschaft, von dem niemand in der Gemeinde etwas wissen darf. Nicht einmal die Schwester oder der Schwager oder die Eltern oder Geschwister. Aber Sie glauben an Gott und spüren so etwas wie Reue oder ein schlechtes Gewissen und müssen Ihre Seele erleichtern. Was würden Sie als guter Christ tun?«
»Ist man ein guter Christ, wenn man gegen die Gebote verstößt?«, fragte Brandt.
»Herr Brandt, lassen wir doch diese Ironie, sie ist im Augenblick sehr unpassend. Jeder von uns verstößt täglich gegen die Gebote, und oftmals merken wir es nicht einmal, was nicht heißt, dass wir nicht gesündigt haben … Ich weiß ja nicht, wie bibelfest Sie sind, aber darf ich Ihnen kurz die Geschichte von Maria Magdalena erzählen? Es gibt mehrere Versionen zu Maria Magdalena, aber ich möchte Ihnen eine erzählen, die für mich die glaubwürdigste ist. Darf ich?«
»Bitte.«
»Maria Magdalena, oder besser Maria aus Magdala, führte laut Überlieferung ein lasterhaftes Leben, sie vergnügte sich mit vielen Männern, gab sich der Wollust hin, ganz im Gegensatz zu ihrer keuschen Schwester Marta und ihrem Bruder
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