Teufelsleib
später …«
»Wie viel später?«, fragte sie, und er meinte zu sehen, wie sie die rechte Braue hochzog, was sie immer tat, wenn sie ihren Unmut zeigte.
»Nicht viel, ich erzähl dir das nachher. Ich schätze, dass ich so gegen halb acht zu Hause bin.«
Sie lachte auf. »In welchem Zuhause treffen wir uns denn heute? In deinem oder in meinem?«
»Hatten wir das nicht besprochen? In deinem natürlich.«
»Darüber, mein Lieber, sollten wir uns mal etwas länger unterhalten. Dieses dauernde Hin-und-her-Pendeln …«
»Bitte nicht am Telefon. Bis nachher, ich freu mich schon.«
»Und ich mich erst.«
Er legte auf und setzte sich auf die Schreibtischkante. So wie er mit Elvira redete, hatte er nicht mal mit Andrea reden können. Er liebte es, ihre Stimme zu hören, er freute sich jeden Tag darauf, sie zu sehen und zu umarmen, er liebte ihren Duft, ihr Lächeln und Lachen, die Art, wie sie sich bewegte, er liebte es sogar, wenn sie manchmal wie aus der Hüfte geschossen eine spitze Bemerkung machte, die er aber zu keiner Zeit als herabwürdigend empfand. Sie verstanden sich blind, als wären sie schon ewig zusammen oder als wären sie füreinander bestimmt. Eines aber war sicher: Sie hatte ihm einen Teil seiner Jugend zurückgebracht, sie hatte ihn innerlich freier gemacht, lockerer, auch wenn sie hin und wieder betonte, dass er genau das mit ihr gemacht habe. Sie ergänzten sich, dabei lagen ganze zwölf Jahre zwischen ihnen. In zwölf Jahren würde er sechzig sein und sie Ende vierzig. Aber darüber wollte er sich keine Gedanken machen, dazu waren die letzten gut zwei Jahre zu schön gewesen.
Er lächelte, als er seine Jacke überzog und als Letzter das Büro verließ. Um Viertel nach sechs hielt er an einem Blumenladen und ließ sich einen bunten Strauß für Nicole binden. Er hatte sie seit dem elften Dezember nicht mehr gesehen. Ihr Mann hatte angerufen, dass seine Frau sich vermutlich ein Virus eingefangen habe. Danach hatten sie nichts mehr von Nicole gehört. Natürlich hatte das auch damit zu tun, dass Weihnachten und Silvester vor der Tür gestanden hatten und Brandt und Spitzer dazu noch in Urlaub waren … Nicole war zwar in der Vergangenheit ein paarmal krank gewesen, aber nie über einen längeren Zeitraum. Ein Virus? Je länger er darüber nachdachte, desto unwahrscheinlicher erschien ihm dies. In ein paar Minuten würde er hoffentlich erfahren, was wirklich mit seiner Partnerin los war.
Noch herrschte Feierabendverkehr, dazu kamen der Schnee, der sich über das ganze Land gelegt hatte, und eine Polarkälte, wie Brandt sie seit einer gefühlten Ewigkeit nicht erlebt hatte. Waren die Temperaturen schon am Tage unter null Grad, so fielen sie nachts bisweilen in zweistellige Bereiche. Zur Musik von Dido ließ er den vergangenen Tag noch einmal an sich vorüberziehen. Es hatte keine besonderen Vorkommnisse gegeben, nichts, worüber aufzuregen sich lohnte. Und er freute sich auf den Abend. Seine Töchter Sarah und Michelle wussten Bescheid und hatten nichts dagegen, dass er ab und zu nicht nach Hause kam. Sie waren beinahe erwachsen und begannen, ihre eigenen Wege zu gehen. Aber, und das war ihm wichtig, sie sagten ihm stets, wo sie sich aufhielten. Heute Abend, so hatten sie ihm gesagt, würden sie einen Serienabend vor dem Fernseher verbringen. Er kannte diese Donnerstagabende, und er fühlte sich gut bei dem Gedanken, dass Sarah und Michelle weiterhin so gerne zu Hause waren, auch wenn ihre Flügel sie immer häufiger zu ihrer Mutter nach Spanien zogen, wo sie das vergleichsweise einfache Leben in Offenbach gegen eines in Luxus tauschten. Aber auch das machte ihm nichts aus, er hatte ihnen schon sehr früh die Entscheidung überlassen, wann und wie oft sie ihre Mutter sehen wollten.
Nach einer knappen Viertelstunde hielt er vor dem Haus der Eberls. Entworfen von Nicoles Mann, einem Architekten, der die meiste Zeit von zu Hause aus arbeitete. Das eigenwillige Gebäude war nicht zu übersehen: viel Beton, aber auch viel Glas, dabei in keinster Weise kalt, ganz im Gegenteil, es hatte eine faszinierende Ausstrahlung. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es schon mindestens zwei, vielleicht sogar drei Jahre her war, seit er zuletzt hier gewesen war. Im Erdgeschoss brannte hinter einem Fenster Licht, und im ersten Stock war schwacher Lichtschein auszumachen.
Brandt stieg aus, ging zum Tor und klingelte. Eine weibliche Stimme meldete sich, doch es war nicht die von Nicole, sondern
wahrscheinlich die
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