Teufelsleib
ihrer Tochter Sajani.
»Brandt hier. Der Kollege von Frau Eberl. Ich würde sie gerne kurz sprechen, wenn das möglich ist.«
»Ja, Moment.« Das Tor surrte leise, und Brandt drückte es auf. Eine junge Frau stand in der Eingangstür, unverkennbar Nicoles Adoptivtochter. Ihm kam es vor, als hätte er Sajani eine Ewigkeit nicht gesehen und war verblüfft, wie bildschön sie geworden war. Schon als Kind hatte sie etwas unvergleichlich Graziles und gleichzeitig Stolzes an sich gehabt, doch jetzt war sie zu einer jungen Frau gereift und von einer geradezu betörenden Schönheit. Sie war etwa so groß wie er, sehr schlank, doch mit fraulichen Rundungen und einem Gesicht, in das sich bestimmt fast jeder Junge verliebte. Eine knapp achtzehnjährige junge Dame, die ihre indischen Wurzeln nicht verbergen konnte. Nicole hatte immer wieder betont, dass Sajani für sie und ihren Mann der größte Segen sei. Sie sei die liebenswürdigste Person auf Gottes weiter Erde. Das waren ihre Worte. Und so, wie Sajani jetzt vor ihm stand, erkannte er erst so richtig, was Nicole damit gemeint hatte.
»Sie wollen zu meiner Mutter?«, fragte Sajani noch einmal mit ernstem, aber nicht unfreundlichem Gesichtsausdruck.
»Nur kurz.« Er hielt inne, musterte Sajani, nur um wieder festzustellen, wie schön sie war, und fuhr fort: »Ich dachte mir, ich schaue mal nach ihr. Darf ich reinkommen?«
»Natürlich. Bitte, treten Sie ein. Sie ist im Wohnzimmer, aber sie verträgt keine Aufregung.«
»Sajani, wir waren doch eigentlich immer beim Du. Ich kenne dich, seit du ein kleines Mädchen warst … Belassen wir’s dabei, okay?«
»Entschuldigung, aber wir haben uns so lange nicht gesehen«, erwiderte sie und senkte den Blick.
»Schon gut. Könntest du bitte die Blumen in die Vase stellen …«
Sajani wollte noch etwas sagen, doch Brandt war bereits mit schnellen Schritten im Wohnzimmer, einem hohen und hellen Raum, in dem sich die Familie eine wahre Wohlfühloase geschaffen hatte. Nicole lag auf dem langen und breiten Ledersofa, eingehüllt in eine dicke Wolldecke, obwohl es in dem Zimmer recht warm war. Ihr Gesicht war eingefallen, und Brandt erschrak bis ins Mark. Er hatte zwar schon befürchtet, dass es mehr als eine Grippe sein könnte, doch die Frau, die auf der Couch lag, hatte kaum noch etwas von der Nicole Eberl, mit der er sich noch bis vor wenigen Wochen ein Büro geteilt hatte.
»Hallo, Nicole«, sagte Brandt und ging auf sie zu. Das ist keine Grippe, dachte er und reichte ihr die Hand. Sie hob ihre langsam, als wöge sie Tonnen, sie fühlte sich schlaff und kraftlos an. Er meinte, die Hand einer alten Frau zu halten.
»Hallo«, begrüßte sie ihn mit kaum vernehmlicher Stimme. Die Wangen waren eingefallen, das Gesicht unnatürlich blass, die Lippen nur ein Strich, die Haut schien beinahe durchsichtig zu sein. Nur die Augen hatten nichts von ihrem Strahlen eingebüßt, was womöglich an Brandts Besuch lag. Aber sie lagen tief in den Höhlen, dunkle Ringe hatten sich darunter gebildet, die Nase war spitz, über Stirn und Mund zogen sich Falten wie Gräben. »Mit dir habe ich nicht gerechnet. Du verzeihst, wenn ich liegen bleibe, aber …« Die Worte kamen nur langsam und schleppend über ihre Lippen, ganz anders als noch vor drei, vier Monaten. Sie war immer eine lebenslustige, energiegeladene Person gewesen, doch die, die hier lag, hatte kaum noch etwas von der Nicole Eberl, mit der er schon so lange zusammenarbeitete.
»Kein Problem«, sagte Brandt und setzte sich in einen der drei Sessel. Sie hatten etwas in dem Raum verändert, aber ihm fiel nicht ein, was. Doch noch immer war es nach den Lehren des Feng-Shui ausgerichtet. »Ich musste einfach mal bei dir vorbeischauen …«
»Peter, ich freu mich so sehr, dass du da bist. Mehr, als du dir vorstellen kannst. Tja, wie du siehst, liege ich im wahrsten Sinn des Wortes flach. So hast du mich auch noch nie gesehen, was?«
»Was ist passiert? Du hast doch keine Grippe, oder?«
Nicole versuchte zu lächeln, doch es gelang ihr nur ansatzweise. Sie war schon immer sehr schlank, etwas herb, fast androgyn gewesen, doch Brandt kam es vor, als hätte sie einiges an Gewicht verloren.
»Nein, es ist keine Grippe«, antwortete sie schleppend, hustete leicht und schloss dabei die Augen, als hätte sie Schmerzen, bevor sie Brandt wieder ansah. »Aber das hättet ihr in den nächsten Tagen sowieso erfahren.« Sie hielt inne und griff nach dem Glas Wasser, das nur wenige Zentimeter von
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