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Teufelsleib

Titel: Teufelsleib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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ihr entfernt auf dem Tisch stand. Sie griff es mit beiden Händen und führte es vorsichtig an den Mund, nippte an der Flüssigkeit, die Hände zitterten, und Brandt fürchtete, sie könnte das Glas fallen lassen. Doch sie stellte es wieder zurück und versuchte erneut zu lächeln.
    »Was ist es dann?«, fragte er mitfühlend und ängstlich.
    Sajani kam mit den Blumen zurück, die sie in eine schöne Vase gestellt hatte.
    »Darf ich noch etwas für dich tun?«, fragte sie fürsorglich ihre Mutter, doch die schüttelte nur leicht den Kopf.
    »Ich lass euch allein, ihr habt bestimmt eine Menge zu besprechen«, sagte Sajani und wollte sich abwenden, aber ihre Mutter hielt sie zurück.
    »Das brauchst du nicht, setz dich ruhig zu uns und leiste uns Gesellschaft. Es ist ja kein Geheimnis, was ich Peter zu sagen habe. Kannst du mir bitte helfen und das Kissen ein wenig nach oben ziehen?«, bat sie ihre Tochter. »Und wenn ich nicht mehr kann, dann erzählst du einfach weiter. Du weißt ja alles.«
    Sajani nickte wortlos und nahm gegenüber von Brandt Platz.
    »Ich werde nicht mehr zurückkommen«, sagte Nicole und hustete wieder.
    »Was heißt, du wirst nicht mehr zurückkommen?«
    »Genau das, was ich gesagt habe. Ich wusste die ganze Zeit über nicht, wie ich es dir und Bernhard beibringen sollte, aber irgendwann musste ich es ja sagen. Ich werde meinen Dienst quittieren und vorzeitig in den Ruhestand gehen …«
    »Augenblick, du bist doch gerade erst dreiundvierzig …«
    »Ja, dreiundvierzig, und eigentlich habe ich erst knapp die Hälfte meines Lebens hinter mir. Aber einer Krankheit wie meiner ist es egal, wie alt ich bin. Ich habe MS , und zwar eine ganz besonders aggressive Form. Man nennt es maligne Verlaufsform.« Sie schluckte schwer, als bereite es ihr unendliche Mühe. Für einen Moment schien es, als hätte sie sich verschluckt. Nachdem sie wieder zu Atem gekommen war, fuhr sie fort: »Ich kann nicht mehr arbeiten, so gerne ich es auch würde. Ich werde nie wieder so sein wie früher.«
    Brandt schluckte schwer, es war, als befände er sich in einem Alptraum, aus dem er zu erwachen hoffte, doch er wusste, es war bittere Realität. Er hatte einen Kloß im Hals. Die Zusammenarbeit mit Nicole war immer besonders gewesen. Sie war nicht nur der ruhende Pol in der Abteilung, sie hatte auch für jeden ein freundliches Wort übrig. Sie murrte nicht, wenn ihr Aufgaben übertragen wurden, von denen sie meinte, ihnen nicht gewachsen zu sein, sie murrte nicht, wenn sie an einem komplizierten Fall arbeiteten und sich Überstunden um Überstunden anhäuften, obwohl sie viel lieber bei ihrem Mann und ihrer Tochter gewesen wäre. Innerhalb weniger Sekunden flogen Jahre an ihm vorbei, die er mit ihr verbracht hatte, fünfzehn Jahre waren sie Partner gewesen, fünfzehn Jahre, die sich nicht einfach ausblenden ließen.
    »Und was kann man dagegen tun?«, wollte er wissen. »Es muss doch irgendwas geben.«
    »Schön wär’s. Es gibt nichts, rein gar nichts. Ich bekomme jeden Tag Spritzen und dreimal in der Woche Infusionen, ich muss Cortison nehmen, aber die Ärzte geben mir nur noch ein, maximal zwei Jahre, es kann auch sein, dass mir nur noch Monate bleiben. Das ist die bittere Wahrheit. Ich hab mir mein Leben auch anders vorgestellt.«
    »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, es wäre sowieso nur dummes Zeug. Ich kann nur sagen, dass es mir unendlich leid tut und … Scheiße, wie konnte das passieren?«
    Nicole schloss die Augen und atmete ein paarmal so tief ein, wie sie konnte, und sah Brandt wieder an. »So was passiert nicht, das ist ja kein Unfall. Sajani kann dir erklären, wie es angefangen hat und so weiter. Ich kann im Moment nicht richtig sprechen, hat auch mit der Krankheit zu tun.« Sie legte den Kopf in den Nacken, als bekäme sie dadurch besser Luft, ihr Kiefer vibrierte leicht, während die Augen sich unter den Lidern bewegten. Und die Hände zitterten wieder.
    Sajani saß aufrecht im Sessel, die Beine eng geschlossen, die Hände gefaltet. »Mama?«
    »Ja?«
    »Ich erzähl’s, aber du musst mich unterbrechen, wenn ich etwas Falsches sage.«
    »Natürlich.«
    »Also gut. Meine Mutter hatte die klassischen Symptome, ohne gleich zu erkennen, welche Krankheit das sein könnte«, sagte Sajani ruhig und blickte Brandt an. »Sie sah Doppelbilder, ist ein paarmal gestürzt, weil ihre Knie nachgegeben haben, ihr war häufig schwindlig, sie hatte Taubheitsgefühle in Händen und Füßen, eben die typischen Symptome

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