Teufelsleib
anrufen.«
»Danke. Mama hat immer nur in den höchsten Tönen von dir gesprochen. Sie hat so gerne mit dir zusammengearbeitet.«
»Warum habt ihr nur nicht früher schon was gesagt? Ich wäre doch gekommen und …«
»Sie wollte das nicht, und diesen Wunsch mussten mein Vater und ich respektieren. So ist sie nun mal.«
»Pass gut auf sie auf, und gib mir sofort Bescheid, wenn … Du weißt schon, was ich meine.«
»Ja. Und nochmals danke für deinen Besuch.«
Sajani reichte ihm zum Abschied die Hand und lächelte. Ihm war nicht nach Lächeln zumute, nicht nach diesem Besuch. Er hatte eine Menge zu verdauen. Nicole. Für einen kurzen Moment fragte er sich, wer denn wohl ihre Stelle einnehmen könnte, doch er fand keine Antwort. Es gab niemanden, der sie ersetzen konnte, denn Nicole war einmalig, sie war die perfekte Teamplayerin.
Als er zu Elvira fuhr, stellte er die Musik in seinem Auto zum ersten Mal seit langem wieder aus. Er brauchte Ruhe, er musste nachdenken. Während er fuhr, wurde er zunehmend trauriger, Tränen liefen ihm über das Gesicht. Nicht mehr lange, und sie würde tot sein. Noch ein paar Wochen oder Monate, wenn die Krankheit weiter in dem Tempo voranschritt. Er mochte nicht daran denken, dass sie bald nicht mehr war, er mochte schon gar nicht daran denken, wie er mit vielen anderen Kollegen hinter ihrem Sarg herlief und sie in die Erde gelassen wurde. Kaum Mitte vierzig und dem Tode geweiht.
Donnerstag, 20.35 Uhr
U m kurz nach halb neun stellte Brandt seinen Wagen in der Tiefgarage ab, wo Elvira einen zweiten Parkplatz gekauft hatte. Er fuhr mit dem Aufzug in den einundzwanzigsten Stock und klingelte bei seiner Traumfrau, die anfangs so unnahbar gewesen war. Sie öffnete die Tür, legte ihm die Arme um den Hals und begrüßte ihn mit einem Kuss. Sie hatten sich seit drei Tagen nicht gesehen, weil Elvira ihrer Großmutter, die sich mit ihren fünfundachtzig Jahren entschieden hatte, in ein Seniorenstift zu gehen, beim Regeln ihrer Angelegenheiten geholfen hatte. Außerdem war Brandt am Tag zuvor bis um dreiundzwanzig Uhr im Präsidium gewesen, um einen Kroaten zu verhören, der einen Serben mit mehreren Messerstichen getötet hatte. Wie sich bei dem Verhör herausstellte, war der Getötete 1993 und 1994 an mehreren Massakern in Bosnien beteiligt gewesen und hatte auch die Familie des bosnischen Kroaten ausgelöscht, nicht ohne vorher dessen Schwestern auf brutalste Weise zu vergewaltigen, bevor er sie, seine Eltern und Großeltern hinrichtete. Der Kroate, Goran Vladic, ein seit Mitte der neunziger Jahre in Offenbach lebender Mann von Anfang dreißig, sagte aus, er habe das Gesicht dieser Bestie nie vergessen. Es vergehe kein Tag, an dem er nicht dieses Bild vor Augen habe. Das Bild eines Mannes, dem ein Menschenleben nichts wert sei. Der den Krieg nutze, um seine perversen und dunklen Triebe auszuleben. Und dann habe er ihn zufällig in Offenbach in einer Kneipe getroffen, ohne dass der Serbe ihn erkannt hätte. Es war, als hätte ihn eine Faust mitten ins Gesicht getroffen.
Sie hatten zusammen beim Bier an der Theke gesessen und sich unterhalten – wie Freunde, die sich seit einer Ewigkeit kennen, so sagte Vladic aus. Der Serbe, Ivan Jovanovic, war mit einer Deutschen verheiratet und hatte mit ihr drei Kinder. Doch das interessierte den Kroaten nicht, in ihm war nichts als ein unbeschreiblicher, mehr als anderthalb Jahrzehnte schwelender Hass auf den Mann, der seine Familie auf barbarische Weise umgebracht hatte. Laut seiner monoton gesprochenen Aussage verließen sie gegen 1.45 Uhr am Morgen des 13. Januar das Lokal und gingen gemeinsam durch die kalte Nacht bis zum Wilhelmsplatz, der wie ausgestorben war und wo sich ihre Wege trennen sollten. Zwischenzeitlich hatte Vladic unbemerkt sein Schweizer Messer aufgeklappt und in einem Moment, als der Serbe sich eine Zigarette anzündete, mehrfach auf diesen eingestochen, bis er sich nicht mehr bewegte. Als Letztes hatte er auf den Sterbenden gespuckt und war die ganze Nacht und den halben Tag über ziellos durch Offenbach gelaufen, bis er zur Polizei ging und sich stellte.
Ivan Jovanovic war um kurz vor sechs von einer Passantin gefunden worden, zwei Beamte vom Kriminaldauerdienst hatten sich mit Spitzer in Verbindung gesetzt, und der hatte Brandt gebeten, die Familie des Toten zu benachrichtigen. Ein Gang, den Brandt verabscheute. Zwar hatte er gelernt, die richtigen Worte zu finden, doch es waren immer wieder andere, neue Situationen,
Weitere Kostenlose Bücher