Teufelsleib
Stimme.
»Ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Sie ist viel schwerer krank, als wir dachten. Bernhard hat mich vorhin gebeten, mal nach ihr zu sehen, weil es ihm ein bisschen seltsam vorkam, dass sie über fünf Wochen an einer Grippe laborieren sollte. Und ich fühle mich wie ein Arschloch, weil ich mich nicht ein Mal in der ganzen Zeit nach Nicole erkundigt habe. Scheiße! Das sind Dinge, die ich mir nicht verzeihen kann.«
Er hielt inne, griff nach dem Glas und trank, und am liebsten hätte er sich heute Abend betrunken.
»Und weiter?«
Er wartete einen Moment, behielt das Glas in der Hand und antwortete: »Sie wird bald sterben. Wenn du sie gesehen hättest … Mein Gott, sie ist nur noch ein Häufchen Elend. Eine besonders aggressive Form von MS . Das geht nicht einfach so an mir vorüber. Und dann noch der Kroate von gestern. Das waren zwei miese Tage.«
»Glaub ich dir. Das mit dem Kroaten ist dein und im Übrigen auch mein Job, ich hab ihn schließlich heute Nachmittag auch noch mal vernommen. Aber das mit Nicole ist ja wirklich entsetzlich. Wie geht denn ihre Familie damit um?«
»Sie wissen alle Bescheid, die Tochter, Sajani, hat mich zutiefst beeindruckt … Sie und Nicole waren ja schon immer ein Herz und eine Seele.«
»Ich weiß. Wie wird es mit ihr weitergehen?«, fragte Elvira.
»Keine Ahnung.« Brandt zuckte hilflos die Schultern. »Es gibt wohl keine Hoffnung auf Besserung. Sie wird sterben, und sie weiß es.«
»Und wie trägt sie es? Ich meine, du musst doch einen Eindruck …«
»Nicole ist Nicole. Während ich bei ihr war, hat sie so getan, als wäre alles halb so schlimm. Die lässt sich nicht unterkriegen, obwohl sie weiß, dass der Tod schon an ihre Tür klopft.«
»Wirst du dich in der nächsten Zeit um sie kümmern?«
»Natürlich, ich hab da einiges nachzuholen. Ich werde zwar nicht jeden Tag bei ihr auf der Matte stehen, aber ich will und muss den Kontakt halten.« Er gähnte. »Ich bin so was von kaputt, das alles hat mich mitgenommen … Na ja«, fuhr er mit einem müden Lächeln fort, »ich werde eben nicht jünger. Ich hab in letzter Zeit immer häufiger das Gefühl, als würde dieser Beruf mich auffressen. Mit Haut und Haaren.«
Elvira sah Brandt durchdringend an. »Erstens: Du bist nicht alt, sondern genau im richtigen Alter. Zweitens: Der Beruf, den du dir ausgesucht hast, frisst dich nicht auf, es bist höchstens du, der manche Dinge zu nah an sich heranlässt. Verstehst du, was ich damit meine? Außerdem ist es in erster Linie Nicoles wegen, dass du am Boden bist.«
»Klar. Aber schau dich an und schau mich an. Du bist zwölf Jahre jünger, siehst aus wie Anfang dreißig, alle Männer gucken dir hinterher, während ich nur noch ein alter Sack bin und …«
»Hör doch mal auf mit diesem Schwachsinn!«, stoppte sie seinen Redefluss und sah ihn wütend an. »Wir sind jetzt seit zwei Jahren zusammen, und jedes Mal, wenn du down bist oder wenn etwas nicht genau so läuft, wie du’s gerne hättest, kommst du mit solchen Sprüchen. Das ist eben das Leben! Wie heißt es so schön: Das Leben ist kein Ponyhof. Das mit dem Kroaten ist schrecklich, es ist aber
sein
Leben! Und das mit Nicole ist für mich noch schrecklicher, weil ich sie seit einigen Jahren kenne, und wenn ich nun von dir höre, dass sie bald stirbt, dann ist das auch für mich nicht einfach zu verdauen … Aber denke daran, nicht du stirbst, sondern Nicole. Sie muss in allererster Linie damit fertigwerden.«
Brandt hob die Hand und wollte Elvira unterbrechen, doch sie schüttelte energisch den Kopf. »Nein, du lässt mich jetzt gefälligst ausreden. Ist das Selbstmitleid? Wenn ja, dann sag’s, und ich verzieh mich, bis dein Anfall vorüber ist, denn der andere Peter Brandt ist mir um Längen lieber. Wie war das doch gleich noch mal, als ich down war wegen meinem Vater und seinen kriminellen Machenschaften? Soll ich’s wiederholen? Okay, tu ich gerne.
Du
warst im entscheidenden Moment da, um mich aufzufangen, als ich nicht mehr weiterwusste und mir die Augen aus dem Kopf geheult
habe. Ich habe
dich
spätabends angerufen und du bist sofort gekommen, was ich dir nie vergessen werde. Ich habe
dich
angerufen und niemanden sonst … Okay, stimmt nicht ganz, ich hatte es erst bei Andrea versucht, aber die war glücklicherweise nicht erreichbar. Und was ist passiert?
Du
hast mir mein Leben vor Augen gehalten,
du
hast mir die Hand gereicht und mich zu einem praktisch obdachlosen Herzchirurgen
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