Teufelsleib
in der Wohnung vergewissern konnte.«
»Bitte, was? Wollen Sie damit etwa sagen, dass Linda verschwunden ist?« Sie räusperte sich, ließ sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen und bot Brandt einen Platz an. Er setzte sich in einen Korbsessel, der direkt neben dem Fenster stand.
»Im Augenblick sieht es ganz danach aus …«
»Nein, nein, nein. Nein, nein, nein, das glaube ich nicht! Nicht Linda«, stieß sie aufgeregt hervor und hob abwehrend die Hände. »Nicht meine Schwester. Wenn Sie sie kennen würden, wüssten Sie, dass sie so was niemals tun würde. Sie ist die Zuverlässigkeit in Person, und ich kann das sagen, denn ich kenne sie, seit sie geboren wurde. Lara und Tobias sind ihr Ein und Alles, sie würde sie niemals im Stich lassen. Ihre Kinder bedeuten ihr mehr als ihr Leben, und ich schwöre Ihnen, das ist die Wahrheit. Ich kenne keine bessere Mutter als Linda …«
»Wann …«
Miriam Weber fuhr unbeirrt fort, als hätte sie Brandt nicht gehört, und ihre Stimme klang auf einmal seltsam fremd, als wäre sie mit ihren Gedanken woanders: »Aber wenn Lara sich Sorgen macht, dann sind diese womöglich auch berechtigt.« Sie begann zu zittern, obwohl es angenehm warm in dem Zimmer war. »Lara ist extrem feinsinnig und spürt Dinge, die andern verborgen bleiben. Halten Sie mich nicht für verrückt, aber Lara ist ein Ausnahmekind. Manchmal habe ich das Gefühl, sie hat Kontakt zu einer anderen Welt. Sie sieht einen Menschen zum ersten Mal und kann sofort sagen, was für ein Mensch das ist.«
Brandts ungutes Gefühl wurde noch stärker, und er hoffte verzweifelt, dass es ihn wenigstens diesmal trog und er nicht irgendwann den Kindern und der Schwester würde mitteilen müssen, dass die Mutter nie mehr nach Hause kommen würde.
»Den Eindruck hatte ich auch. Darf ich Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen?«
»Natürlich, natürlich, fragen Sie.«
»Aus Ihren Worten schließe ich, dass Sie auch nichts von Ihrer Schwester gehört haben …«
»Nein, das hätte ich Ihnen doch sofort gesagt. Sie wollte mir heute Nachmittag um drei die Kinder vorbeibringen und sie am Sonntagabend wieder abholen, aber das hat Lara Ihnen bestimmt erzählt. Mein Gott, wenn ich mir vorstelle, dass ihr etwas zugestoßen ist …«
»Noch wissen wir es ja nicht«, versuchte Brandt sie zu beschwichtigen. »Wie oft lässt Ihre Schwester die Kinder übers Wochenende bei Ihnen?«
Miriam Weber antwortete prompt: »Das kommt etwa einmal im Monat vor, mitunter zweimal, dann aber auch mal nur alle zwei Monate. Das ist unterschiedlich.«
Brandt nickte. »Gut, das deckt sich mit den Aufzeichnungen, die Lara mir gegeben hat. Sie hat genau Buch geführt über …«
»Ja, ich weiß, was Sie denken. Aber Linda arbeitet hart, um sich endlich von diesem Scheißkerl, der sich Ehemann nennt, trennen zu können. Sie haben ihn doch kennengelernt. War er besoffen? Was für eine Frage, natürlich war er besoffen«, gab sie gleich selbst die Antwort und zog die Mundwinkel abfällig nach unten.
»Wie ist das Verhältnis zwischen Ihrer Schwester und ihm?«
Miriam Weber lachte bitter auf. »Da gibt es kein Verhältnis mehr, Universen liegen zwischen den beiden. Dieter ist doch im Dauerrausch. Er jammert und heult, wie schlecht es ihm geht, aber er kriegt den Arsch nicht hoch. Der hängt an der Flasche, seit ich ihn kenne. Aber Linda hat sich in ihn verliebt, als sie sechzehn war, und ihn gegen meinen Rat mit achtzehn geheiratet. Ich hatte sie gewarnt, dass er sie ins Unglück stürzen würde, und genau das ist auch passiert. Gut, sie haben zwei Kinder miteinander, aber die interessieren ihn null. Ich bin normalerweise nicht so, doch diesen versoffenen Kerl verachte ich. Er bringt nur Unglück über die Familie.«
»Augenblick, Sie sagen, er trinkt, seit Sie ihn kennen? Nicht erst seit seiner Bandscheibengeschichte?«
Miriam Weber lachte höhnisch auf. »Hat er Ihnen dieses Märchen etwa auch aufgebunden? Das mit seinen Bandscheiben nimmt er gerne als Vorwand für seine Sauferei. Soll ich Ihnen die Wahrheit sagen? Er ist ein Versager, der bei jedem die Schuld sucht, nur nicht bei sich selber. Ich will mit diesem Mann nichts mehr zu tun haben, er raubt mir nur unnötig Energie.«
»Und sein Job bei der Stadtreinigung?«
»Sie meinen, warum er den verloren hat? Ganz bestimmt nicht, weil er krank war, sondern weil er seine Arbeit nicht mehr richtig erledigen konnte. Einen ständig besoffenen Müllfahrer, der dauernd fehlt, kann man nicht
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