Teufelsleib
werden. Mir dreht sich der Magen um, wenn ich nur daran denke. Vor allem Lara und Tobias tun mir jetzt schon leid, für sie wird alles zusammenbrechen, denn Linda war für sie alles. Es gibt keine bessere Mutter als meine Schwester.«
»Ich sagte doch bereits …«
»Hören Sie doch auf mit diesen einstudierten Sprüchen! Linda ist etwas zugestoßen, wahrscheinlich ist sie sogar tot. Allein der Gedanke …«
»Frau Weber, ich werde Ihnen jetzt ein paar Szenarien aufzeigen, die möglich sind. Es könnte sein, dass sie einen Unfall hatte und hilflos irgendwo liegt. Das wäre schlimm, denn bei dieser Kälte kann das sehr gefährlich sein. Nummer zwei, sie wurde entführt …«
»Entführt! Hallo, haben Sie vergessen, dass unsere Familie nicht gerade mit Reichtümern gesegnet ist? Mein Mann ist Lehrer, ich mache Übersetzungen, das Haus muss noch etwa zwanzig Jahre lang abbezahlt werden, meine Eltern und mein Bruder leben von Hartz IV , meine Schwester Iris ist seit längerem in der Drogenszene abgetaucht, kein Mensch weiß, wo sie sich derzeit aufhält, ob sie überhaupt noch lebt … Wollen Sie noch mehr wissen?«, spie sie ihm entgegen, um sich gleich darauf zu entschuldigen. »Verzeihen Sie bitte, ich wollte Sie nicht angreifen … Ich war die Erste, die es aus dem Sozialsumpf geschafft hat, und Linda ist oder war auf dem besten Weg, es mir gleichzutun, auch wenn es bei ihr ungleich länger gedauert hat. Aber ich habe Sie unterbrochen, Sie haben doch bestimmt noch ein paar Theorien in petto, was mit Linda passiert sein könnte«, sagte Miriam Weber ironisch.
»Sie hat jemanden getroffen, ist mit ihm mitgegangen und hat die Zeit vergessen …«
»Soll ich jetzt lachen oder was? Linda würde niemals mit jemandem mitgehen. Solange sie verheiratet ist, hat sie gesagt, werde es keinen anderen Mann in ihrem Leben geben – und schon gar keinen Seitensprung. Sie ist nicht der Typ für One-Night-Stands. Noch was?«
»Nein. Aber ich möchte Sie trotzdem darauf hinweisen, dass ich es schon mit den unmöglichsten Fällen zu tun hatte. Es gibt noch viele Möglichkeiten, was passiert sein könnte, die ich gar nicht alle aufzählen kann.«
»Ich weiß«, seufzte Miriam Weber auf, »es gibt nichts, was es nicht gibt. Dennoch bin ich überzeugt davon, dass meiner Schwester etwas zugestoßen ist. Was auch immer. Und noch einmal für Sie zum Mitschreiben: Linda wollte heute Nachmittag die Kinder vorbeibringen, weil sie das ganze Wochenende über arbeiten muss …«
»Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche, aber ist das nicht ungewöhnlich, am Samstag und Sonntag …«
»Nein, ist es nicht. Die machen, so Linda, nicht nur Bürogebäude oder Industrieanlagen, sondern sind auch in Villenvierteln in ganz Deutschland tätig, natürlich nur dort, wo die Bewohner nicht zu Hause sind. Es gibt außerdem auch Firmen, in denen am Wochenende geputzt wird. Sie sagt, es sei ein Unternehmen mit über fünfhundert Mitarbeitern. Hören Sie, Linda und ich, wir sind uns so ähnlich, das glauben Sie gar nicht. Wenn ich etwas sage, dann halte ich mich auch daran. Und genauso ist Linda. Um drei wollte sie die Kinder bringen, um halb fünf hätte sie losgemusst.«
»Sind Sie Zwillinge?«, wechselte Brandt das Thema.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Weil Sie sich so ähnlich sehen.«
»Das sagen viele. Nein, wir sind keine Zwillinge, ich bin fast auf den Tag zwei Jahre älter. Linda hat am 8. November Geburtstag, ich am 9. Aber manchmal könnte man tatsächlich meinen, wir wären eineiige Zwillinge.«
»Gibt es Freizeitaktivitäten, denen Ihre Schwester nachgeht? Ist sie in irgendwelchen Vereinen?«
»Nein, nichts dergleichen. Sie ist häufig hier bei uns, das ist alles. Es gibt nur drei Dinge im Leben für sie: Ihre Familie, die Arbeit, meine Familie. Das reicht auch, denke ich.«
»Ja, sicher. Die Wohnung ist ja auch in einem fast perfekten Zustand …«
»Das ist nicht Linda allein. Lara hilft sehr viel im Haushalt mit. Sie spült, saugt, wischt Staub, sie macht eigentlich alles. Sehr ungewöhnlich für ein Kind, aber wie schon gesagt, Lara ist nicht mit anderen Kindern ihres Alters zu vergleichen. Ich habe sie und Tobias gerne hier. Sie sind wahre Geschenke Gottes. Und das meine ich ernst.«
»Dann sollten sie auch immer so behandelt werden. Ich werde jetzt zurück ins Präsidium fahren. Wir werden alles nur erdenklich Mögliche in die Wege leiten, um Ihre Schwester zu finden.«
»Tun Sie das«, sagte sie mit Resignation in
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