Teufelsmauer
einen Rockertreffpunkt handelte, vermutlich den letzten seiner Art. Ein gastronomischer Dinosaurier.
Jetzt, mitten im Hochsommer, durchlief der Laden wie alle Kneipen ohne Biergarten eine existenzbedrohende Flaute. Nur eine Handvoll Gäste waren da. Allesamt Männer. Jeansjacken, Lederwesten, Sonnenbrillen im Haar. Morgenstern passte objektiv betrachtet ganz gut dazu. Zwei standen um einen riesigen Billardtisch, der im Zentrum des schwach beleuchteten Gastraums thronte. Zwei weitere saÃen am Tresen. Ein Trio lärmte mit Würfelbechern an einem schäbigen Tisch.
Hinter dem Tresen stand der Wirt: Charly. Schlank, einen Meter fünfundachtzig groÃ, die dunkelbraunen Haare zum Pferdeschwanz gebändigt, groÃe, dunkle Augen. Bekleidet mit einer schwarzen, an den Seiten geschnürten Lederhose, einem breiten Gürtel, dessen SchlieÃe das Wappen der amerikanischen Konföderierten schmückte. Darüber ein enges T-Shirt mit Harley-Davidson-Aufdruck, mächtig spannte sich der Bizeps. Grässlich, fand Morgenstern.
Er fragte sich, ob dieser Charly, Fionas Exfreund, wusste, wer er war. Vor vielen, vielen Jahren war er mit Fiona in der FuÃgängerzone auf ihn getroffen, eine Szene, die er selbst noch in peinvoller Erinnerung hatte. Fiona hatte es damals für nötig erachtet, eine ausufernde Plauderei zu starten, während er an nichts anderes dachte als an geordneten Rückzug, wahlweise auch überstürzte Flucht. Fiona hatte ihm hinterher mit funkelnden Augen zu verstehen gegeben, er habe sich angestellt »wie ein kleines Kind im Sandkasten«. Glücklicherweise war es später nie wieder zu einem Aufeinandertreffen gekommen.
Und nun stand er hier, quasi in Feindesland, und hielt Ausschau nach seiner Frau. Er hatte im Regionalzug von Eichstätt nach Nürnberg (mit Umsteigen in Treuchtlingen und unterbrochen durch eine nicht enden wollende Stafette von Haltestellen wie Georgensgmünd und Unterheckenhofen) erneut versucht, Fiona auf dem Handy zu erreichen. Vergeblich. Er war zur Wohnung ihrer Mutter gelaufen in der Erwartung, sie dort beim Entrümpeln anzutreffen oder â noch besser â alleine bei einer Flasche Wein nach getaner Arbeit. Die Wohnung war finster gewesen, das Sturmläuten ungehört verhallt. So hatte ihn sein Weg schlieÃlich ins »Crazy Horse« geführt, und mit Bitterkeit erinnerte er sich daran, dass er schon den ganzen Tag befürchtet hatte, letztlich hier zu landen.
»Krieg ich ein Bier oder krieg ich keins?«, hörte er sich plötzlich mit genervter Stimme fragen, und zu allem Ãberfluss klopfte er mit der flachen rechten Hand auf das harte dunkle Holz.
Charly schaute ihn mit durchdringendem Blick an. »Nerven bewahren, Fremder. Bei mir kriegt jeder ein Bier. Na gut, fast jeder. Ein Helles?«
»Ja.«
Sorgfältig betätigte Charly den Zapfhahn, schob Morgenstern dann das Glas zu. Tucher-Bräu.
»Wo kommstân her?«, fragte er.
»Ingolstädter Gegend«, sagte Morgenstern vage.
»Bissl GroÃstadtluft schnuppern, was?«
»So ungefähr.« Morgenstern nahm einen groÃen Schluck und merkte, dass seine Hand vor Anspannung zitterte.
»Irgendwoher kommst du mir bekannt vor«, sagte Charly mit grübelndem Blick. »Warst du schon mal hier? Nee, das würd ich wissen. Ich kenne meine Kundschaft.«
»Bin zum ersten Mal hier. Premiere.«
Erneut nahm Morgenstern einen Schluck, wischte sich mit dem Ãrmel den Schaum vom Mund. Dann packte er den Stier bei den Hörnern.
»Ich habe eine einzige Frage.«
»Dann frag halt.«
»Wo ist Fiona?«
Charly grinste über beide Ohren. »Jetzt weià ichâs. Du bist dieser Morgenstern. Fionas Macker. Na, wenn ich das gleich gewusst hätte, hätt ich mir das mit dem Bier noch mal überlegt.«
»Wo ist Fiona?«
Charly griff nach dem zu drei Viertel vollen Glas, und es war klar, dass dieses Bier in den nächsten Sekunden im Spülbecken landen würde. Morgensterns Hand schnellte vor, um das Glas zu sichern, dieses Allerweltsbehältnis mit dem Namen »Willy-Becher«. Charly und er rangelten um das Glas, zogen vor und zurück, und ehe sie sichâs versahen, hatten sich die Stammgäste neben Morgenstern aufgebaut, um das zu erwartende Spektakel aus nächster Nähe mitzuerleben.
»Gib mir das Glas«, drohte Charly, und man musste kein Physiotherapeut sein, um
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