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Teufelsmauer

Teufelsmauer

Titel: Teufelsmauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Auer
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vorauszusehen, wer von den beiden dieses alberne Kräftemessen gewinnen würde. Zu allem Unglück mischte sich der Stammgäste-Chor ein, die Kneipe hallte plötzlich von »Charly! Charly!«-Anfeuerungsrufen wider. Das war der Moment, als das feuchte Glas Morgenstern aus der schwitzigen Hand glitt – so überraschend, dass er rücklings vom Barhocker rutschte und hart mit dem Hintern auf dem Kneipenboden aufschlug.
    Charly allerdings erging es deutlich schlechter. Er hatte zwar den Triumph über den umkämpften Willy-Becher davongetragen. Indes: Es war ein Pyrrhus-Sieg. Das Glas in der Hand, taumelte er nach hinten, knallte gegen die Rückwand seines Schankbereichs, worauf mehrere der sorgsam auf schmalen Regalbrettern aufgereihten Spirituosenflaschen splitternd zu Boden gingen. Der Inhalt des Bierglases allerdings, der Stolz der Brauerei Tucher, hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits schwungvoll über den torkelnden Wirt ergossen.
    Hinterm Tresen dröhnte der fränkisch intonierte Schrei »Du Dreggsagg«, und die Gäste interpretierten das als Aufruf zum kollektiven Vergeltungsschlag gegen den fremden Eindringling, der es gewagt hatte, sich mit dem Wirt und Gastgeber anzulegen.
    Morgenstern versuchte, sich aufzurappeln, aber er war erst auf den Knien, als er von allen Seiten Stöße und Tritte erhielt. Verzweifelt hielt er sich die geballten Fäuste vors Gesicht, um seinen Kopf zu schützen. Er steckte Bauchschläge ein, und irgendjemand schlug sogar mit einem Billardstock auf ihn ein. Das »Crazy Horse« war zum Westernsaloon mutiert und er, Mike Morgenstern, zur Hauptattraktion des Abends.
    Â»Hilfe!«, rief er schließlich in größter Not. »Hilfe!«
    Bloß: Wer konnte ihm hier helfen? Die siebte Kavallerie?
    Morgenstern schloss die Augen und überließ sein Schicksal höheren Mächten, wer auch immer das sein mochte. Aus irgendeinem Grund fiel ihm der Refrain aus dem Rosenkranzgebet ein: »Bewahre uns vor dem Feuer der Hölle, besonders jene, die deiner Fürsorge am meisten bedürfen.« Wenn jetzt einer Fürsorge nötig hatte, dann wohl er, Mike Morgenstern.
    Wie von ferne hörte er eine Stimme, eine vertraute Stimme: »So, Herrschaften: Jetzt langt’s!« Gleichzeitig endeten die Schläge. Morgenstern atmete tief durch in Erwartung eines letzten, besonders brutalen Trittes. Doch es war vorbei. Die Schlacht war geschlagen.
    Vorsichtig öffnete er die Augen, und was er sah, hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht auszumalen gewagt: Über ihm stand, die Pistole drohend in der rechten Hand, den Dienstausweis demonstrativ in der linken, der Schutzengel aus Schrobenhausen, bekleidet mit brauner Cordhose und beigem Pullunder mit Rautenmuster: Kriminaloberkommissar Peter Hecht.

FREITAG
    Â»Ich hatte einfach kein gutes Gefühl«, sagte Hecht, als sie am nächsten Morgen am Morgenstern’schen Frühstückstisch saßen. Er hatte seinen ramponierten Kollegen am Abend zuvor mit dem Dienstwagen nach Hause gebracht und dann kurz entschlossen bei ihm auf der Wohnzimmercouch übernachtet. »Dich kann man ja nicht alleine lassen. Wie im Kindergarten ist das«, hatte er geschimpft, ohne Widerspruch zu ernten. Morgenstern hatte zu seinem großen Glück bis auf ein paar blaue Flecken, einer großen Beule am Kopf (der Billardstock) und einem Veilchen am linken Auge keine ernsthaften Blessuren davongetragen. Eine nähere Überprüfung in der Eichstätter Klinik hatte er am späten Abend vehement abgelehnt, und auch jetzt am Morgen weigerte er sich, die Begutachtung durch den Hausarzt zumindest in Betracht zu ziehen.
    Peter Hecht hatte schon ab sechs Uhr mit viel Geklapper begonnen, das Frühstück vorzubereiten: schwarzen Tee für sich selbst – Kamillentee hatte er keinen gefunden –, Kaffee für Morgenstern. Sogar in einer der zahlreichen Bäckereifilialen, die sich im Laufe der vergangenen Jahre metastasenhaft in der Eichstätter Innenstadt ausgebreitet hatten, war er gewesen, um Semmeln und Brezen zu kaufen. Und um die Samariterrolle perfekt zu machen, hatte er auch noch den seit Tagen überfälligen Abwasch erledigt.
    Â»Deine Couch ist eine Katastrophe«, hatte er sein emsiges Treiben erklärt. »Ich habe heute Nacht kaum ein Auge zugetan. Und dann sind da ununterbrochen die Kirchglocken. Ich dachte immer, ich bin von

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