Teufelsmauer
wenn wieder ein Schreiben in unserem Briefkasten war. Das hört sich jetzt wahrscheinlich brutal an, aber: Ich glaube nicht, dass Papa sehr traurig sein wird, wenn er hört, dass dieser Pietzka nicht mehr lebt. Er hat ihn mehr als einmal zur Hölle gewünscht.«
»Deswegen hätten wir auch gerne mit ihm gesprochen«, sagte Morgenstern. »Aber wir brauchen Sie genauso. Wir befragen alle Anwohner, ob sie heute am frühen Morgen, so ab fünf Uhr, etwas Verdächtiges gesehen haben. Oder auch schon in den vergangenen Tagen. Die Sache war gut geplant.«
Katharina Breitenhiller musste nicht lange nachdenken. »Ich habe nichts bemerkt, da habe ich noch geschlafen. Ich schlafe in den letzten Tagen schlecht ein. Meine Mutter gibt mir Schlaftabletten, damit geht es besser. Aber ich liege nachts lange wach und denke nach. Manchmal spreche ich dann sogar mit Barbara, als würde sie an meinem Bett sitzen. Seltsam, oder?«
»Nein, das ist gar nicht seltsam. Das ist menschlich«, sagte Morgenstern. »Und worüber sprechen Sie dann?«
Katharina lächelte. »Ich versuche, sie besser kennenzulernen. Ich habe festgestellt, dass ich viel zu wenig über sie weiÃ. Dabei ist sie doch meine groÃe Schwester. Schwestern wissen doch alles voneinander, normalerweise. Schwestern sind wie beste Freundinnen.«
»Und das waren Sie nicht?«, fragte Morgenstern. »Immerhin wussten Sie ihr Computerpasswort.«
»Ach, das war Zufall, da hat sie sich mal verplappert, und es war ihr auch ziemlich peinlich, glaube ich. Barbie ist sechs Jahre älter als ich. Das ist ein groÃer Abstand. Ich habe lange nachgedacht, und ich glaube heute, dass ich nie richtig an sie herangekommen bin. Dass sie mich nie richtig an sich herangelassen hat. Verstehen Sie? Sie hat sich nicht geöffnet, jedenfalls nicht mir. Und ich glaube, auch sonst nicht vielen Menschen.«
»Aber sie hatte doch immer einen festen Freund, wenn auch im häufigen Wechsel«, sagte Morgenstern.
»Ja, sie hat ihre Freunde ständig gewechselt. Immer wenn es mit einem zu eng wurde, hat sie ihm den Laufpass gegeben. Es war fast, als hätte sie Angst vor festen Bindungen.« Sie sah Morgenstern an. »Also, ich stelle mir unter einer Partnerschaft etwas anderes vor. Etwas Verlässliches. Es geht doch in der Liebe um mehr als Sex.«
»Sie sind sehr unterschiedlich, obwohl Sie Schwestern sind«, sagte Morgenstern.
»Ist das nicht merkwürdig?«, fragte Katharina. »Ich habe früher immer zu ihr aufgeschaut, fand es toll, dass sie so viele Freundinnen und noch mehr Freunde hatte. Und jetzt posten diese Freunde dann so einen Scheià wie âºOnly the good die youngâ¹ und tun so, als wäre Barbie eine verdammte tragische Heldin, wie Amy Winehouse oder Kurt Cobain oder Jim Morrison. Dabei ist von denen keiner ermordet worden.«
»Nur John Lennon«, sagte Morgenstern.
»Und Walter Sedlmayr«, fügte Hecht hinzu, womit er sich einen genervten Blick von Morgenstern einhandelte.
Katharina hörte gar nicht richtig hin. »Keiner von denen hat sie richtig gekannt. Keiner von uns hat sie richtig gekannt. Wenn es um Gefühle ging, hat sie keinen an sich herangelassen. Da hat sie sich verschlossen wie eine ⦠wie eine Muschel. Hat die Fragen einfach weggelacht. So war sie. Immer auf eine glänzende Oberfläche aus. Aber wie es in ihrem Inneren ausgesehen hat, das weià bis heute niemand. Das hat sie alles mit sich selbst ausgemacht.«
Morgenstern konnte sich tatsächlich schwer vorstellen, dass die Limeskönigin einem grobschlächtigen Klotz wie Werner Bauernfeind, dem König der Nutzholzverwertung, ihr Herz ausgeschüttet hätte. Was er jetzt sagen musste, fiel ihm nicht leicht.
»Bis hin zu ihren Versuchen, sich das Leben zu nehmen.«
Die Erinnerung an die Selbstmordversuche erschütterte mit einem Mal die Fassade der Selbstbeherrschung, die Katharina Breitenhiller während des Gesprächs aufrechterhalten hatte. Tränen schossen ihr in die Augen, und sie eilte aus der Küche. Morgenstern und Hecht blieben schweigend zurück und tranken betreten ihren Cappuccino.
Nach fünf Minuten kam Katharina zurück. »Entschuldigung.«
»Sie sollten in diesen schwierigen Tagen nicht alleine sein«, sagte Morgenstern.
»Ach, es geht schon. Es sind ja nur ein paar Stunden, dann sind meine Eltern wieder da. Und der Onkel Hans auch.
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