Teufelsmauer
konservativem Erscheinungsbild in nichts nachstand. Schwarz glänzte die lange Reihe von Knöpfen an seinem Priestergewand, auf dem Kopf trug er das Birett.
Morgenstern wusste aus früheren Ermittlungen, dass sich gleich neben der Schutzengelkirche das bischöfliche Priesterseminar befand. Im selben Gebäudekomplex war zudem eine Einrichtung zur theologischen Ausbildung von Geistlichen der Ostkirchen angeschlossen, das »Collegium Orientale«, in dem das Spektrum vom koptischen Mönch bis zum ukrainischen Theologiestudenten reichte. An exotisch-konservativ auftretenden Klerikern herrschte demnach in Eichstätt kein Mangel, und der Herr in Soutane hätte in diesem frommen Milieu gewiss kein Aufsehen erregt â wenn er nicht einen kleinen, aus Pressspanplatten gezimmerten Informationsstand von der GröÃe einer Wahlurne dabeigehabt hätte.
Morgenstern entzifferte ein Plakat mit der Aufschrift »Nie wieder Kirche!« und ein weiteres mit dem sorgfältig gedruckten Appell »Kirchenaustritt leicht gemacht«. Und ihm ging ein Licht auf. Der Herr in Soutane war mitnichten ein Mann des geistlichen Standes â das schwarze Gewand war nichts anderes als eine Kostümierung. Es musste sich um Gundekar Russers Vermieter handeln. Um jenen weit über die Stadt hinaus bekannten Kirchengegner, den Anna Russer, wenn es ihr denn möglich gewesen wäre, am liebsten im nächstgelegenen Taufbecken ertränkt hätte.
Hecht und er blieben zunächst auf Distanz, um die Szene in aller Ruhe verfolgen zu können. »Don Giovanni«, mittlerweile mit hochrotem Gesicht, schimpfte auf sein Gegenüber ein, wild gestikulierend. Der Kontrahent wiederum bewahrte demonstrativ kühlen Kopf und konterte die Vorwürfe mit gemäÃigter Körpersprache. Den Wortfetzen, die Morgenstern aufschnappte, entnahm er, dass es vor allem um den Vorwurf ging, dass die katholische Kirche ein Schlangennest von Kinderschändern, Hexenverfolgern und Wahrheitsverdrehern sei, eine Behauptung, die der Monsignore in dieser Pauschalität nicht akzeptieren wollte.
Im Laufe der Auseinandersetzung lieà sich der Monsignore gar zu den Begriffen »Volksverhetzer« und »Schweinehund« und »in der Hölle schmoren« hinreiÃen, und mehr als einmal fürchtete Morgenstern, der Würdenträger aus dem Vatikan würde handgreiflich werden. In der Tat holte der Monsignore schlieÃlich mit dem Fuà aus und versetzte dem rechteckigen Pressspanstand einen so massiven Tritt, dass er das dünne Brett durchbrach.
Mittlerweile waren etliche Passanten stehen geblieben, um die Kontroverse zu verfolgen. Morgenstern und Hecht allerdings wurden ausgerechnet jetzt ihrer freien Sicht beraubt, weil der »Schnellbus« der Linie EichstättâIngolstadt des Busunternehmens Jägle turnusgemäà die Haltestelle am Leonrodplatz anfuhr. Der Fahrer, ebenfalls an dem Spektakel der Soutanenträger interessiert, machte keine Anstalten, zügig weiterzufahren.
Als der Jägle-Bus sich schlieÃlich doch in Richtung »Schanz« bequemte, erkannten die Ermittler mit nicht geringem Bedauern, dass sie den Höhepunkt der Auseinandersetzung wohl soeben verpasst hatten. Der Kirchenkritiker lag lang gestreckt am Boden und hielt sich die linke Wange. Ãber ihm stand, immer noch die flache Hand ausgestreckt, Monsignore Breitenhiller, mühsam zurückgehalten von seinem Bruder Albert zur Linken und seiner Schwägerin Rosemarie zur Rechten â ein Bild von geradezu biblischer Wucht.
Der Geschlagene rappelte sich vom harten Pflaster auf wie ein zu Boden gegangener Boxer, der den Kampf noch nicht verloren geben will. Er baute sich vor dem Monsignore auf, streckte das Kinn nach vorne und deutete auf seine rechte, bislang unbehelligte Wange.
»Das glaub ich jetzt nicht«, flüsterte Hecht.
Der Monsignore sah seinem Widersacher kurz in die Augen. Dann holte er mit der linken Hand aus und schlug mit voller Wucht zu. Die Wange färbte sich buchstäblich schlagartig dunkelrot, der Getroffene lieà sich demonstrativ zu Boden gleiten und setzte sich neben seinen zertrümmerten Stand.
Leise rezitierte Hecht das Bibelwort: »Wenn dich einer auf die linke Wange schlägt, so halte ihm auch die rechte hin. Bergpredigt.«
Morgenstern sagte: »Das wird teuer. Strafprozessordnung.«
Es stellte sich in der Tat heraus, dass eine Schlägerei unter Männern im
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