Teufelsmond
ein paar Tränen laufen. Und die ganze Zeit über hielt der schwarze Jo ihre Hand, strich darüber, wenn Karla zu sehr zitterte, wenn ihr die Tränen die Stimme erstickten. «Ich habe Angst», erklärte sie am Ende. «Wer weiß, was die Alweröder noch vorhaben. Ich habe Angst um Euch. Ihr müsst weg. Nehmt Sofie und das Kind, nehmt die Mutter, die Knechte, alle, die hier wohnen, und flieht, so schnell Ihr könnt. Die Männer, sie werden ihren Schrecken verdauen, und dann werden sie wiederkommen. Nicht nur fünf wie in der Nacht. Alle werden sie dieses Mal kommen. Und sie werden die Mühle anzünden, und es wird ihnen gleich sein, wer in den Flammen ums Leben kommt. Jo, ich bitte Euch, um der Liebe Christi willen, nehmt die Euren und geht.»
Der schwarze Jo ließ Karlas Hand los und setzte sich auf den Boden. Er starrte hinter Karla an die Scheunenwand, dann schüttelte er langsam den Kopf.
«Warum seid Ihr gekommen?», fragte er ein weiteres Mal. «Habt Ihr denn keine Angst? Jeder weiß, was es bedeutet, wenn ein Leichnam im Grabe fetter wird. Wieso habt Ihr keine Angst?» Er sah sie misstrauisch aus zusammengekniffenen Augen an. Karla spürte diesen Blick wie einen Schlag und begann zu zittern. «Ich habe auch Angst», flüsterte sie. «Eine Heidenangst sogar. Ich habe ihn da liegen sehen, das Blut, die langen Fingernägel, der dicke Bauch, alles. Mir stockte das Blut in den Adern.»
«Und warum seid Ihr dann gekommen, um mich, um uns zu warnen?»
Karla schluckte, dann sagte sie mit fester Stimme: «Weil Ihr ein guter Mensch seid. Und auch die Sofie ist ein guter Mensch. Der Säugling so unschuldig wie frischgefallener Schnee. Und Eure Mutter, sie vergeht fast vor Gram.»
Der schwarze Jo lachte bitter auf. «Gute Menschen? Noch nie hat uns jemand so genannt.» Er erhob sich, trat dicht vor Karla hin. «Es ist der Dank, nicht wahr? Wegen der Stiefel seid Ihr gekommen. Einem Nachzehrer will man nichts schuldig sein. Ist es so?»
Da begann Karla erneut zu weinen. Lautlos liefen die Tränen ihre Wangen herab. Sie war so müde, so erschöpft von all dem, was sie erlebt hatte. Die Angst hatte sie ausgelaugt. Alle Kräfte hatte sie zusammennehmen müssen, um zur Mühle zu gehen. Und jetzt dachte der schwarze Jo, was er dachte. Sie konnte nicht mehr. Seitlings warf sie sich ins Stroh und schluchzte ihren Kummer, ihre Furcht und ihre Müdigkeit zwischen die kratzenden Halme.
Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. «Weint nicht, Karla. Ich hab’s nicht böse gemeint. Mit Freundlichkeit kenne ich mich nicht aus. Pscht, pscht. Weint nicht.»
Karla spürte die Kälte von Jos Hand durch ihren Umhang, durch das Kleid hindurch. Sie drehte sich um und sah, dass auch er Tränen in den Augen hatte. Da hob sie ihr Kleid, nahm seine beiden eiskalten Hände, presste sie auf ihren warmen Bauch, wärmte sie an ihrem Leib und schaute dem Jo dabei ins Gesicht. Langsam löste sich die Starre aus seinem Blick, langsam hörte er auf, die Zähne so fest aufeinanderzubeißen, dass es knirschte. Langsam wich die Spannung aus seinem Körper. Weich wurde er, verletzlich. Karla sah es in seinen Augen, die ihren Blick festhielten, als wäre er eine Rettungsleine.
«Noch nie hat mich jemand gewärmt», flüsterte er.
«Noch nie habe ich so kalte Hände gefühlt», flüsterte Karla zurück. Dann schloss sie die Augen und spürte sogleich seine warmen Lippen auf ihrem Mund.
Die Wärme durchströmte ihren Körper wie ein heißes Bad. Ihre Tränen trockneten unter dieser Wärme, und sie öffnete ihre Lippen ein wenig, schmeckte das Salz von Jos Haut, schmeckte ihn, seine Angst, seine Kraft, seine Entschlossenheit, aber auch seine Einsamkeit. Es war, als öffne er ihr mit diesem Kuss sein ganzes Herz, als legte er ihr sein Leben mit allen Erfahrungen, Ängsten, Kümmernissen, aber auch sein Lachen und seine Leidenschaft zu Füßen. Karla wünschte, dass dieser Kuss auf ewig dauern möge, doch schon zog sich Jo zurück, biss die Zähne wieder fest aufeinander. Sein Blick wurde hart, der Mund schmal. «Ich kann nicht weg», erklärte er und löste seine Hände von ihrem warmen Bauch. «Wir können nicht weg von hier. Seit Jahrzehnten ist das unser Zuhause. Wo sollen wir denn hin?» Er schüttelte den Kopf. «Wir bleiben. Das ist unsere Mühle, unser Heim. Niemand hat das Recht, uns daraus zu vertreiben.»
Er stand auf, klopfte sich die Strohhalme von der Kleidung. «Ich werde dafür sorgen, dass uns nichts geschieht. Aber jetzt
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