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Teufelsmond

Teufelsmond

Titel: Teufelsmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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die Fackel aus dem Boden und hielt sie über den Sarg, den Blick aber wandte er zu den Wipfeln der Bäume. Nur der Beckmann und der Glenbauer sahen dem Pater zu, während der Hettrich beide Hände vor den Bauch gepresst hielt.
    Pater Fürchtegott riss eine zweite Fackel aus dem Boden und beleuchtete damit den Leichnam. Zuerst betrachtete er die Füße, danach den restlichen Körper von unten nach oben. Als er die Hand der Leiche anhob, stieß der Glenbauer einen leisen Schrei aus. «Die Fingernägel! Sie sind gewachsen. Herr im Himmel, vergib mir meine Sünden!»
    «Lasst uns gehen», quengelte Hettrich wie ein müdes Kind. «Los, ich will nicht mehr, lasst uns fort von hier.»
    «Ihr bleibt!» Die Stimme Pater Fürchtegotts klang streng. «Was Ihr gemacht habt, ist ein Verbrechen, das man Leichenfledderei nennt. Das wisst Ihr! Es wäre ein Leichtes, Euch der Obrigkeit anzuzeigen. Ich will vielleicht darauf verzichten. Dafür bleibt Ihr alle hier und seht mit eigenen Augen, was Ihr sehen wolltet!»
    Der Hettrich wand sich, als hätte er Krämpfe, während der Glenbauer versteinerte und Henn Wegener nickte, als hätte er genau damit gerechnet. Karla hinter den Männern kämpfte mit ihrem Magen und konnte zugleich das Mitleid nicht unterdrücken. Sie wusste jedoch nicht, wem dieses Mitleid galt. Den armen, gebeutelten Männern hier, die sich nichts sehnlicher wünschten, als neben ihren warmen, weichen Weibern im Bett zu liegen. Oder dem Toten, dem man die letzte Ruhe so unsanft gestört hatte.
    Pater Fürchtegott leuchtete nun über das Gesicht des Toten, das mit einem Mal füllig wie das eines Metzgers aussah. Er tippte mit dem Finger an das Kinn der Leiche. Und da klappte die Kinnlade herunter und etwas, das wie Blut aussah, floss ihm heraus, über das Kinn und versickerte im Totenhemd. Da schrie auch der Glenbauer, schmiss den Spaten hin und rannte über den Acker, gefolgt vom Dorfschulzen und zum Schluss dem Hettrich, der lauthals schluchzte. Nur Henn Wegener stand noch da wie angenäht und glotzte.
    «Da siehst du sie rennen, die Helden der Nacht», erklärte der Pater. «Solltest du nicht in deinem Versteck bleiben?»
    Wie gebannt starrte Karla auf den toten Michelsmüller. Er sah so friedlich aus, fand sie. Sie beugte sich über den Sarg. «Das Blut, es ist kein Blut, nicht wahr? Blut ist dunkler.»
    Henn Wegener räusperte sich. «Nachzehrerblut ist, was es ist», erklärte er mit rauer Stimme.
    Pater Fürchtegott erhob sich.
    «Was jetzt?», fragte Karla.
    Der Pater zuckte mit den Achseln. «Wir tun das, was ein jeder Exorzist in so einem Falle tun sollte. Wegener, ich brauche eure Hilfe. Die Leiche muss zurück unter die Erde.»
    Der Pater und der Wegener schlossen den Deckel, vernagelten ihn und brachten den Sarg zurück in die Grube.
    «Ihr, Wegener, werdet im Dorf erzählen, was ich getan habe. Ihr werdet sagen, dass ich den toten Michelsmüller exorziert habe, dass nun keine Gefahr mehr droht. Doch zuvor schaufelt das Grab zu. Karla, wir helfen.»
    Er drückte Karla eine Schaufel in die Hand, doch im selben Augenblick begann ein Käuzchen zu rufen. «Kiwitt, kiwitt!», und es klang, als rufe es: «Komm mit! Komm mit!» Jetzt waren auch die Nerven des Wegeners am Ende. Laut aufschluchzend und die Ohren mit den Händen bedeckend, rannte er über den Acker davon.
    «Und nun?», fragte Karla, der selbst die Furcht im Nacken saß.
    «Nun werden wir den Michelsmüller zum zweiten Mal begraben», erklärte der Pater. «Aber sei behutsam und vorsichtig. Ich möchte nicht, dass der schwarze Jo oder die anderen aus der Mühle sehen, was hier in dieser Nacht vorgefallen ist. Sie haben genug Leid.»
    Karla nickte, packte die Schaufel und machte sich an die Arbeit. Aber das Bild des toten Müllers mit dem aufgeblähten Bauch ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Der Spaten brannte in ihrer Hand, während die Angst kalt über ihren Rücken kroch. Nachzehrer. Sie wusste mehr darüber, als ihr lieb war. Und damit die Angst sie nicht beherrschte, begann Karla zu reden: «Tote, die keine Ruhe finden. Tote, die umgehen wie böse Geister. Aber nicht jeder Tote kann ein Nachzehrer werden. Nur Fehl- und Missgeburten, Ungetaufte, im Kindbett Gestorbene, Wöchnerinnen, Verlobte, die kurz vor der Hochzeit sterben, Ehepaare, die am Hochzeitstag verbleichen, Selbstmörder, Erhängte, Ertrunkene und andere, die durch Gewalt oder unnatürliche Weise sterben. Wisst Ihr, Pater Fürchtegott, dass auch ich davon betroffen bin? Ich erfülle

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