Teufelsmond
Luft.
«Hört Ihr mich, Pater? Was ist das Böse?» Karla ließ nicht locker.
Der Pater seufzte. «Das Böse. Ja.»
«Was ist es?»
Karla ließ den großen Holzlöffel, mit dem sie im Zuber gerührt hatte, sinken und sah den Pater an. «Wisst Ihr es nicht?»
Pater Fürchtegott lächelte schief. «Du denkst dir das so einfach. Das Böse da und das Gute dort. Aber so ist es nicht. Nie war ich mir dessen sicherer als hier und heute.»
«Steht denn davon nichts in der Heiligen Schrift?»
«Oh, doch, die Heilige Schrift ist voll davon. Das Böse», sann der Pater laut nach, «ist, wenn man es recht bedenkt, die Entfernung von Gott. Ein jeder, der sich von Gott abwendet und wider die zehn Gebote handelt, ist dem Bösen in die Fänge geraten. So sagen die großen Kirchenlehrer und auch die alten Griechen. Platon zum Beispiel, der sagte: Der Tugendhafte begnügt sich damit, von dem zu träumen, was der Böse im Leben verwirklicht. Ja, Karla. So ist es.» Der Blick des Paters war wieder in weite Fernen gerichtet.
«Pater? Pater!» Karla zerrte an seiner Kutte. «Das kann nicht sein. Der Michelsmüller zum Beispiel, er hat nicht getötet, hat nicht geflucht, nicht des Nächsten Weib begehrt und stets die Eltern geehrt. Und trotzdem halten ihn die Dörfler für das Böse. Und der schwarze Jo? Und die Sofie mit dem Säugling? Was haben sie denn Unrechtes getan?»
Pater Fürchtegott ließ sich auf den Rand des Waschzubers sinken. Ein Zipfel seiner Kutte fiel ins Wasser, aber er bemerkte es nicht. «Das Böse lässt sich nicht so einfach finden, umzingeln und packen. Es ist schlau, das Böse, und versteht es, sich zu tarnen, sodass es auf den ersten Blick nicht erkennbar ist. Täuschung und Blendung sind seine Werkzeuge.»
Karla sah missbilligend auf den Kuttensaum im Waschwasser. Dann kräuselte sie die Nase und fragte: «Wenn Gott allmächtig ist, warum merzt er dann das Böse nicht aus? Er kann es doch, oder?»
Der Pater nickte. «Natürlich kann er es. Aber Gott hat den Menschen den freien Willen gegeben. Aus diesem erwächst das Böse.» Er hob den Zeigefinger und sah Karla an. «Schon der große Kirchenlehrer Augustinus stellte das fest. Durch die Erbsünde, sagte er, ist das Böse in die Welt gekommen.»
«Heißt das, Gott könnte das Böse ausmerzen, aber er tut es nicht, weil er dem Menschen einen freien Willen gegeben hat?»
«So ungefähr, ja. Der Mensch, Karla, neigt zur Überschätzung. Dass Gott ihn nach seinem Ebenbild geschaffen hat, nimmt so mancher zum Anlass, sich selbst für den Schöpfer zu halten. Mancher Mensch, verstehst du, glaubt nicht an seine Herkunft von Gott, er will sein Wollen und Handeln nicht in Gottes Dienst stellen, sondern in den eigenen. Das versteht man unter Freiheit, Karla. Und diese Freiheit hat Gott dem Menschen zugestanden.»
«Freiheit? Die darin besteht zu entscheiden, ob ich Gott dienen oder böse sein will?»
«Äh, ja, so in etwa.»
Karla schüttelte unglücklich den Kopf. «Aber wem nützt denn das Böse? Wozu ist es gut? Wem dient es außer dem freien Willen, den man nicht sehen kann?»
Der Pater sackte auf dem Waschzuber ein wenig zusammen. «Das ist die Frage, Kind. Genau das ist die Frage.»
Mit diesen Worten erhob er sich und schlurfte, den nassen Saum hinter sich herschleifend, zurück in die Küche.
«Das ist doch keine Antwort», rief Karla ihm hinterher, aber der Pater reagierte nicht auf ihren Ruf.
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Zwanzigstes Kapitel
Else hatte abgewartet, bis Karla und der Pater draußen im Pfarrhof waren. Jetzt öffnete sie die Tür zur Vorratskammer und steckte Speck, Brot, zwei geräucherte Würste, zwei Äpfel und einen halben Laib Brot in ein Tuch. Sie knotete dieses Tuch ordentlich zu, dann schlich sie aus der Küche und hinaus aus dem Pfarrhaus. Mit dem Fuß schob sie ein gackerndes Huhn aus dem Weg und sah sich verstohlen nach allen Seiten um.
«Na, Nachbarin, wohin des Weges?» Die dürre Bernadette war aus ihrem Hoftor getreten.
«Ich habe Besorgungen zu machen», beschied sie Else knapp.
«Was hast du da im Tuch?», wollte Bernadette wissen und bohrte einen Finger in eine Öffnung. Else drehte sich abrupt weg. «Lass das. Das geht dich gar nichts an.»
«Oh, du hast Geheimnisse. In einer Zeit wie dieser?» Bernadette legte den Kopf schief. Um ihre Lippen spielte ein teuflisches Grinsen. «Ich werd’s dem Meinen erzählen, und der wird’s dem Glen berichten.» Sie lachte. «Am Ende steckt ein Mannsbild dahinter, was? Hast du
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