Teufelsstern
Sonne auf der Windschutzscheibe spiegelte, konnte er den Fahrer nicht erkennen. Das Fahrzeug sah wie ein Monster aus. Seine Scheinwerfer waren die Augen, der Kühlergrill das aufgerissene Maul. Das Monster schien kein Ende zu nehmen, ein glänzender silberner Zylinder auf dicken Rädern. Und er kam immer näher. Jetzt füllte er schon das ganze Fenster aus und würde jeden Augenblick durchbrechen…
»Matthew? Was ist los?«
Alle starrten ihn an. Schon wieder. Miss King war verstummt und betrachtete ihn mit einer Mischung aus Sorge und Ungeduld.
»Nichts, Miss Ford.«
»Dann hör auf, aus dem Fenster zu starren, und versuch, dich zu konzentrieren. Wie ich schon sagte, waren viele Leute der Ansicht, dass Dünkirchen ein wahres Wunder war…«
Matt wartete einen Moment ab und sah dann wieder aus dem Fenster. Von diesem Raum aus konnte man die Sporthalle sehen, die abseits der anderen Gebäude auf der anderen Straßenseite stand. Dort würden sie später zu Mittag essen, weil im Speiseraum noch die Elektriker rumhantierten. Es war kein Verkehr und ein wunderschöner Tag. Matt presste eine Hand gegen seine Stirn. Als er sie wieder wegnahm, war sie schweißnass. Was war nur mit ihm los?
Irgendwie schaffte er es, Geschichte, Physik und Sport zu überstehen. Aber in der letzten Vormittagsstunde hatte er Englisch bei Mr King. Matt konnte seiner Literaturinterpretation nicht folgen, und es dauerte nur ein paar Minuten, bis der Lehrer das bemerkte.
»Langweile ich dich, Freeman?«, fragte er mit einem abfälligen Lächeln.
»Nein, Sir.«
»Dann kannst du sicher wiederholen, was ich gerade gesagt habe?«
Matt schüttelte den Kopf. »Tut mir Leid, Sir. Ich habe nicht zugehört.«
»Komm nach der Stunde zu mir«, befahl Mr King und wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Dieser Roman hat eindeutig…«
Die Stunde schien eine Ewigkeit zu dauern, und als sie endlich vorbei war, entschied Matt, nicht auf seine Bestrafung durch Mr King zu warten. Es kam ihm vor, als würde es in der Schule immer heißer. Die Fensterscheiben verstärkten das Sonnenlicht und blendeten ihn. Die Wände schienen sich zu biegen und in der Hitze zu flimmern. Natürlich wusste er, dass er sich das nur einbildete. Es war Frühsommer, erst Anfang Juni. Er sah sich um und merkte, dass keiner der anderen Jungen etwas spürte.
Sie hatten fünfzehn Minuten Pause, dann würden alle Schüler die Straße überqueren und zum Mittagessen in die Sporthalle gehen. Matt dachte wieder daran, Richard anzurufen und ihn um Hilfe zu bitten. Handys waren in Forrest Hill verboten, aber auf der anderen Seite des Schulhofes gab es drei Münztelefone.
»Matthew?«
Er drehte sich um. Miss Ford kam auf ihn zu, sie war offensichtlich auf dem Weg ins Lehrerzimmer.
»Mr King sucht nach dir«, sagte sie.
Natürlich tat er das. Matt hatte sich ihm widersetzt. Und das bedeutete Ärger.
»Ich wollte dir sagen, dass dein letzter Aufsatz schon viel besser war«, fuhr die Lehrerin fort. Sie betrachtete Matt ein wenig traurig, doch dann runzelte sie die Stirn. »Geht es dir nicht gut?«, fragte sie. »Du siehst krank aus.«
»Mir geht’s gut.«
»Vielleicht solltest du zur Schulschwester gehen.« Mit diesen Worten wendete sie sich ab. Nicht einmal die Lehrer von Forrest Hill wollten dabei ertappt werden, dass sie mehr Zeit als nötig mit Matt verbrachten. Miss Ford rauschte an ihm vorbei und setzte ihren Weg ins Lehrerzimmer fort.
Das war der Moment, in dem Matt eine Entscheidung traf. Er würde bestimmt nicht zur Schulschwester gehen, der dünnen, mürrischen Frau, die jede Andeutung einer Krankheit als persönliche Beleidigung auffasste. Und er würde auch Richard nicht anrufen. Es war Zeit, Forrest Hill zu verlassen. Die anderen Jungen hatten ihm vom ersten Tag an klar gemacht, dass er nicht hierher gehörte. Vielleicht hatten sie Recht. Was hatte er in einer Privatschule mitten in Yorkshire zu suchen? Das Einzige, was er mit den anderen gemein hatte, war die Uniform, die er tragen musste.
Direkt vor dem Lehrerzimmer stand ein Mülleimer. Matt hatte ein paar Bücher unter dem Arm. Ohne darüber nachzudenken, warf er sie in den Müll. Oliver Twist. Mathe. Ein Buch über den Zweiten Weltkrieg. Dann nahm er seinen Schlips ab und schmiss ihn hinterher. Er fühlte sich sofort besser.
Matt drehte sich um und ging los.
Gwenda Davis hatte oben auf dem Hügel angehalten. Sie wusste, was sie zu tun hatte, aber sie war noch nicht bereit dazu. Gwenda konnte
Weitere Kostenlose Bücher