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Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)

Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)

Titel: Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Bigler
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verschwamm ihm der Blick, und mit einem tiefen Atemzug wandte er sich wieder von der Uhr ab.
    Ja, man wurde älter. Er ebenso wie sein Pflegesohn.
    Er war jetzt elf und in den letzten Monaten ein gutes Stück gewachsen. Sein blondes Wuschelhaar hing ihm so tief in die Stirn, dass es fast die wachen, dunklen Augen verdeckte. Und sie funkelten wild, wenn etwas nicht nach seinem Willen lief, genauso wie damals die Augen des Prinzen. Ferdinand hatte denselben Dickschädel wie der Junge. Einzig in ihrem Drang, sich klassische Bildung anzueignen, unterschieden sie sich. Etwas schien Arno auf die richtige Bahn geworfen zu haben. Seine Abneigung gegen das Lernen war von ihm abgefallen. Hatte er sich vor drei Jahren noch gegen Papier und gegen Federkiel gewehrt wie ein Kater gegen das Wasser, so bemühte er sich heute mit einer Ernsthaftigkeit ums Latein, dass er den meisten Novizen um mehr als nur eine Nasenlänge voraus war und es bald eine Herausforderung sein könnte, ihm einen geeigneten Text vorzulegen.
    Was nur würde er heute mit ihm lesen?
    Die Hand im Nacken, stand der Abt auf und trat vor die Bücherwand, vor die Reihen gewichtiger, hochformatiger, teils in Leder gebundener Bücher, unter denen sich Raritäten wie Pico della Mirandolas Conclusiones philosophicae , cabalistica et theologicae , ein sehr seltener Codex mit tironischen Noten, die berühmte Schrift De venatione sapientiae von Kues und die Steganographia befanden. Es waren Werke, die zur Hinterlassenschaft seines Vorvorgängers gehörten, des bücherverliebten Querkopfs, der es tatsächlich geschafft hatte, die Bibliothek von kärglichen fünfzig auf über zweitausend Bände aufzustocken und das Kloster in eine wahre Stätte des Wissens zu verwandeln.
    Einer plötzlichen Eingebung folgend, griff er nach dem Ovid, zögerte dann aber. Der Ovid, überlegte er, wäre zu besinnlich. Etwas Handfesteres, etwas Raueres, gar etwas Kriegerisches wollte er heute mit Arno übersetzen. Vielleicht Cäsar.
    In kreisenden Schlaufen fuhr er mit der Rechten an den Buchrücken hoch, bis er in der drittobersten Reihe die dunkelroten Deckel eines kleinen Bandes mit der Inschrift De Bello Gallico zwischen den Fingern hielt. Vorsichtig zog er ihn heraus und blätterte behutsam Seite für Seite um. Schließlich, nachdem er einige Stellen kurz geprüft hatte, klemmte er die goldene Schnur ins Librum Primum und klappte das Buch zu.
    Heute, beim Jupiter, würden sie über die Helvetier und über ihre Niederlage bei Bibracte lesen, denn der Sinn stand ihm nach dieser bellezistischen Lektüre, und Arno würde es bestimmt auch ansprechen, das alte Schlachtgetümmel.
    Er trat zurück zum Tisch, legte das Buch neben das Tintenfässchen und fasste erneut den dicken Folianten, das Joch seiner Verwaltertätigkeit, ins Auge.
    Was nur sollte er Prior Jerg sagen?
    Er stützte sich an der Tischkante, sah eine Weile zur Tür, durch die sich wie durch ein Wunder der Unglückselige nicht hereinschob, und entschied, dass er fertig gegrübelt hatte.
    Wenn die Zeit reif war, würde ihm schon das Richtige in den Sinn kommen! Und hatte er nicht noch etwas anderes zu erledigen, das mindestens so wichtig war?
    Er setzte sich, griff nach einem Stück Papier und breitete es vor sich auf dem Tisch aus. Es war ein Brief von Bruder Michael, dem Hofgeistlichen zu Haldenburg, mit dem er seit Jahren in Kontakt stand. Nicht immer war der Briefwechsel ersprießlich, doch diesmal ließ das Schreiben aufhorchen. Der alte Fürst, so berichtete der Gottesmann in den letzten Zeilen, vernachlässige das Regierungsgeschäft, er sitze im langen Saal des ersten Stockwerks und starre Stunde für Stunde zum Fenster. Schwierig sei es daher, sich mit ihm zu verständigen, nie wisse man, ob er diese Verkapselung aufbreche und einem zuhöre. Dass er damit den ganzen Hofstaat zermürbe, kümmere ihn wenig, er nehme es vermutlich nicht einmal mehr zur Kenntnis, er sei zeitweise einfach nicht mehr von dieser Welt.
    Den Zeigefinger auf dem Brief, kratzte sich der Abt mit der freien Hand an der Schläfe und versuchte sich ein Bild zu machen von dem, was ihm da mitgeteilt wurde – der eigensinnige Herzog auf dem Thron, die ratlosen Diener und Hofschranzen, die Unordnung im Schloss und das Chaos in der fürstlichen Verwaltung.
    Ob man sich darüber freuen sollte?
    Da näherte sich das Brummen erneut und zog haarscharf am rechten Ohr vorbei.
    Wieder die Fliege!
    Frech landete sie auf dem Brief und rieb die Vorderbeine

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