Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)
Grund waren eine Fliege, die sich ihm immer wieder auf die Glatze setzte, eine stickige Nachmittagshitze, die schwer auf seinen Schädel drückte, und die stete unterschwellige Furcht, dass die Treppe draußen knarren und Prior Jerg hereinplatzen konnte.
Er spürte, wie sich sein Nacken verspannte und sich leichter Kopfschmerz meldete.
Der würde kommen, bestimmt!
Er wollte ihn zermürben, langsam aus dem Amt drängen, denn er wäre ach so gerne Abt. Mit sanfter Stimme hatte er ihn gewarnt. Und das nicht nur einmal. Man dürfe Hexentreiben nicht dulden, mit Strenge müsse man den Untertanen erziehen und ihm die richtige Lehre vorleben, denn lasche Herren lebten gefährlich, sie würden nicht respektiert und reizten den Pöbel zum Widerstand. Das waren wohl keine Ratschläge gewesen, sondern kaum verdeckte Drohungen.
Die Finger zusehends zittriger, blätterte der Abt zurück, Jahr um Jahr, ließ den Blick über die Zahlen-und Buchstabenreihen gleiten, bis ihm schließlich die Eintragungen seines Vorvorgängers ins Auge stachen. Prior Jerg hatte ihm von diesem Mann berichtet, von dessen unseligen Bücherwut, die ihn sein Amt gekostet hatte.
Er sei sonst ein strenger Hirte gewesen, sein Glaube untadelig. Aber eben, diese kostspieligen Bücher.
Der Abt seufzte.
Wer war ihm wohl sonst noch alles feind?
Er entschied, Bruder Max und Bruder Lorenz uneingeschränkt zu vertrauen. Auf sie konnte er sich verlassen wie auf sich selber. Doch die Obedienz der anderen galt es zu bezweifeln. Zu wenig Führungswillen, zu wenig Härte, zu wenig Strenge, und vor allem zu wenig Gottesfurcht, das würde er auch von jenen Brüdern hören, die am Anfang zu ihm gehalten und ihn gewählt hatten.
Er merkte, wie ihm kalter Schweiß auf die Stirne trat und es ihm eng um die Brust wurde.
Würden sie ihn fortjagen?
Sie überwachten ihn, ganz bestimmt. Heimlich und ohne sein Wissen. Sie überwachten seine Schritte, protokollierten sie und empfingen hinter seinem Rücken viele bereitwillige Zuträger, die ihnen Kunde in ihre klösterliche Abgeschiedenheit brachten, Kunde vom einsamen Waldhaus und von dem schrulligen Mönch, der bei der schönen Heilerin mit den rätselhaften, unheimlichen Geräten ein-und ausging.
Halb zornig, halb beklommen scheuchte er die Fliege vom Tisch, lehnte sich zurück und gab sich einen Klaps gegen die Stirn. Darauf zu kommen, dass der schrullige Mönch und er, der Abt, ein und dieselbe Person waren, brauchte es keine Überwachung, kein lauerndes Misstrauen von Spitzeln, darauf waren die Brüder wohl schon längst selbst gekommen. Die schlichte Mönchskutte hatte eben nicht ausgereicht, er hätte eine Tarnkappe benötigt oder den Schutz der Dunkelheit, wenn er den Versorgungssack gepackt und sich auf den Weg zum Labor gemacht hatte. Oder er hätte von Anfang an der Alchimie abschwören müssen, seiner verhängnisvollen Leidenschaft, die ihn in Haldenburg zu Fall gebracht hatte und ihn hier gar Kopf und Kragen kosten könnte.
Er schluckte zweimal leer, um zu verhindern, dass sein Rachen austrocknete, verscheuchte ein weiteres Mal die Fliege und strich mit der Hand über die aktuellen Einträge.
Er würde fortan noch mehr auf der Hut sein!
Gegen eine Verschwörung war nichts auszurichten, aber er konnte ihre Zeichen erkennen, ihr tapfer entgegenblicken und seinen Abgang mit Würde ins Auge fassen!
«Euer Weg war auch steinig», brummte er und sah zum Kreuz über dem Schreibtisch. «Aber Ihr wart wenigstens kein Alchimist!»
Die hölzerne Figur am Kreuz, alt geworden und zunehmend vom Fraß der Würmer gelöchert, widersprach ihm nicht. Stattdessen ratterte es leise und drei helle Klänge störten die Stille.
Sie kamen von der Eisenuhr von der Wand, die ebenfalls von seinem Vorvorgänger stammte und mit dem Drei-Uhr-Schlag daran erinnerte, dass er nun eigentlich Lehrerpflichten zu erfüllen hatte.
Wo er nur blieb?
Hätte die Treppe nicht schon längst kreischen, die Türe krachen und der Stubenboden beben müssen?
Er drehte sich zur Seite, betrachtete das von Menschenhand geschaffene Räderwerk und lauschte dem unentwegten Ticken.
Es war das einzige Geräusch neben dem gelegentlichen Brummen der Fliege, ein regelmäßiges metallisches Klacken, das nicht aufzuhalten war, in jede Nische des Raumes drang und dem Wandel, dem Gottes Geschöpfe unterworfen waren, einen Klang gab.
Kurze Zeit klopfte er es nach, übertönte es mit kräftigem Fingerschlag und sah zum Zeiger, der sich nach der Drei streckte. Da
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