Teuflisch erwacht
zusammen.
»Wohin dann?« Sie tat es schon wieder. Dauernd behandelte Marla sie, als wäre sie ein kleines Kind. Sie ließ sie im Ungewissen, redete die Dinge schön und sprach die wichtigen nicht aus.
»Das erzähle ich dir während der Fahrt. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.«
Die Gefahr, die der Unterton mit sich brachte, streifte sie wie ein eiskalter Atemhauch. Was hatte sie vor? Sie fing Marlas Blick auf und ihr Herz setzte beinahe aus. In ihren Augen las sie das Ende. Die Hexe zog die Karte, die das Haus zum Einsturz brachte. Plötzlich wollte sie nicht mehr wirklich wissen, wohin Marla sie schleppte.
3. Kapitel
Die Hexe im Mondschein
S ebastian saß auf einem Felsen und blickte über das dunkle Gewässer. Das Mittelmeer rauschte und schlug wütende Wellen gegen die Klippen. Wie tief es wohl sein mochte? Es wirkte bedrohlich. Der ballonartige Mond schien zwischen den wenigen Wolken hindurch und warf ein geisterhaftes Licht über die Bucht. Sterne funkelten wie Glühwürmchen am Firmament. Obwohl es nicht kalt war, fröstelte er und zog den Kragen der Jacke höher. Die Kälte kam aus seinem Innersten. Er fühlte sich müde und sein Kreislauf sackte in den Keller. Wann hatte er zuletzt geschlafen? Ein stechender Schmerz zog sich über die rechte Schulter bis hin zum Rückgrat. Eine klaffende Fleischwunde trug die Schuld daran. Zumindest glaubte er das. Er war noch nicht dazu gekommen, die Verletzung anzusehen.
Im letzten Kampf hatte er fast sein Leben gelassen. Ausgerechnet, als er dem Ziel so nahe kam. Er hatte es geschafft, seine Familie fortzulocken, damit Anna und Marla in Sicherheit waren. Zumindest, solange er noch lebte. Zuerst hatte er Vater sinnlos durch Deutschland geführt. Immer darauf bedacht, seinen Weg nicht zu kreuzen. Doch mit einem Schlag hatte sich ein Gedanke verfestigt. Vielleicht konnte er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wenn sein Schauspieltalent nicht in letzter Sekunde den Geist aufgab. Wenn er es schaffte, Antonio del Rossi auf seine Seite zu ziehen, besäße er eine mächtige Waffe. Offensichtlich ahnten die italienischen Magier noch nichts vom Tod ihrer Tochter Kira. Andernfalls hätten sie längst eine Attacke gestartet.
Sebastian fragte sich immer öfter, ob das Geschwafel von Gefühllosigkeit nicht bloß ein Versuch der Magier war, sich zu schützen. Er war das lebende Beispiel, dass an der Überzeugung nichts dran sein konnte. Er hatte mehrfach versucht, sich an sein Empfinden zu erinnern, das ihm innewohnte, bevor er Frank das Empathentalent gestohlen hatte. Aber schon vor dem Diebstahl hatte er Zuneigung empfunden und das Bedürfnis, seine Familie zu beschützen. Gefühle verliehen Ereignissen Bedeutung. Ohne Emotionen wäre jeder Tag seines Lebens wertlos gewesen. Aber so war es eben nicht. Und allein aus diesem Grund glaubte er, dass Antonio den Tod seiner Tochter nicht auf sich sitzen lassen würde, wenn er davon erfuhr. Vermutlich würde er sich hinter Stolz, Ehre, Respekt und dem Wunsch nach Rache verstecken. In Wahrheit würde sein Herz entzweibrechen, wenn er hörte, dass Kira nicht mehr lebte. Es musste einfach so sein. Schließlich gab es noch andere Indizien dafür, dass Magier mehr fühlten, als sie zugaben. Sie waren imstande, einem Menschen binnen Sekunden das Leben zu nehmen. Talent hin oder her. Wieso hatte Vater ihn gelehrt, Freundschaft vorzugaukeln, bevor er tötete? Die einzige Antwort auf die Frage lautete, dass jeder Freundschaft brauchte, und sei sie bloß vorgespielt. Niemand war gern allein, auch Magier nicht.
Sebastian streckte die schweren Glieder. Auf steinigen Umwegen hatte er seine Familie nach Italien geführt. Nun stand der zweite Part auf seinem Plan. Er musste Antonio in aller Früh aufsuchen, ihm von Kiras Ableben berichten und ihm die Lüge glaubhaft machen, dass sein Vater es getan hatte. Wenn seine Berechnung aufging, würde Antonios Verzweiflung in Zorn umschlagen, den er sodann auf Jonathan hageln ließ. Natürlich wies sein Vorhaben Lücken auf. Er baute allein auf die Tatsache, dass Magier mehr empfanden, als sie sich eingestanden, und er keine sonderbare Ausnahme darstellte. Er wollte kein Sonderling sein. Wenn er recht behielt, würden die beiden Magierfamilien aufeinander losgehen und, mit viel Glück, sich gegenseitig auslöschen. In jedem Fall würden sie einander schwächen. Allein hatte er keine Chance gegen sie. Das letzte Aufeinandertreffen hatte es mehr als bewiesen. Täglich wuchs die
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