Teuflisch erwacht
Macht seiner Familie. Sie krallten sich Talente wie andere Sonderangebote, und die Chance auf einen Sieg schrumpfte mit jedem Tag mehr.
Sebastian seufzte, bückte sich und griff nach einem Stein. Der Schmerz in der Schulter strahlte bis in den Arm. Er stöhnte leise.
Zweimal war er in eine Falle getappt und direkt auf Jonathan gestoßen. Er besaß genug Verstand, sofort die Flucht zu ergreifen und sich nicht mit Vater zu duellieren. Obwohl sie sich nicht einmal einen Atemzug lang gegenübergestanden hatten, hatte Jonathan es geschafft, ihn zu verwunden.
Sebastian zwang sich umständlich aus der Jacke, zog sein T-Shirt aus und versuchte, einen Blick auf seine Schulter zu werfen. Er erhaschte einen Eindruck der Verletzung. Die Haut schälte sich vom Schulterblatt ab. Unter dem Gelenk schimmerte es dunkel. Doch um die Stelle besser betrachten zu können, brauchte er einen Spiegel. Immerhin schien es nicht so schlimm zu sein, wie befürchtet. Er schlüpfte zurück in die Kleidung und biss die Zähne zusammen, um in den Ärmel zu gleiten. Mit dem gesunden Arm schleuderte er den Stein ins Meer. Er hüpfte nicht, wie er es auf einer Seeoberfläche getan hätte, sondern ging sang- und klanglos unter. Wenn das mal kein schlechtes Omen war.
Er musste sehr zeitig aufbrechen, bevor seine Familie von seinem Vorhaben Wind bekam. Vielleicht sollte er sich eine Unterkunft suchen und Kraft tanken, statt die Nacht am Wasser zu verbringen?
»Sebastian!«
Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er fuhr herum, sprang auf die Füße und spähte in die finstere Nacht. Er betete, dass ihm sein Verstand einen Streich spielte. Ein Hirngespinst, geboren aus Erschöpfung. Eine schemenhafte Gestalt näherte sich. Hoffentlich ordnete er wenigstens die Stimme falsch zu. Er spannte die Muskeln an, ignorierte die pochende Schulter und nahm eine Angriffshaltung ein.
»Du bist ja schwerer aufzuspüren als eine Nadel im Heuhaufen«, rief sie ihm zu und beschleunigte ihre Schritte.
Er entspannte sich, fuhr über die müden Augen. Das durfte doch nicht wahr sein. Was zur Hölle hatte Cynthia hier zu suchen? »Was willst du hier? Ich habe doch deutlich gemacht, dass ihr euch fernhalten sollt. Das ist kein Kinderspiel.«
Die junge Hexe trat auf ihn zu und schenkte ihm ein herzerweichendes Lächeln. »Dummerchen. Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass wir auf dich und dein Weibergeschwätz hören?«
Er hatte Cynthia und Patrick in München kennengelernt, als er die Hilfe von Hexen benötigte. Die beiden machten keinen Hehl aus ihrem Talent, schalteten sogar Zeitungsanzeigen und warben mit ihrer Hexenkunst. Was das Gesetz davon hielt, scherte sie nicht. Sie hielten nichts vom Beirat und schlugen sich mit ihrem Hokuspokus durchs Leben. Schlecht lebten sie davon wohl nicht. Sebastian hatte ihnen einen Teil der Geschichte anvertraut, aber tunlichst vermieden, seine Identität zu entblößen. Sie hatten ihn mit Schutzzaubern versehen und dafür gesorgt, dass Ortungszauber keine Wirkung hatten. Mit einer Ausnahme. Joshs gestohlenes Hexentalent konnte ihn aufspüren, wenn auch zeitversetzt. Somit blieb er ihnen immer einen Schritt voraus, und seine Familie folgte ihm in sicherem Abstand. Anna und Marla würden ihn auch nicht finden können und somit nicht in Gefahr geraten. Der Einfall stammte von Cynthia. Sie war klug und als Hexe sehr begabt. Trotzdem sollte sie nicht in Italien sein.
»Ihr sollt verschwinden.« Sebastian sah sie auffordernd an. Er widerstand nur schwer dem Impuls, ihr einen Fluch auf den Hals zu hetzen. Er besaß weder die Kraft, ihren Babysitter zu spielen, noch hatte er Lust auf eine Diskussion. Was wollte sie von ihm?
»Du solltest dich über Hilfe freuen«, konterte sie und schwang sich auf den Felsbrocken.
»Wo ist Patrick?«
»Er sucht in der Stadt.« Sie unterstrich die Worte mit einer Geste, die wohl deutlich machen sollte, dass sie ihren Freund für verrückt hielt.
»Wie habt ihr mich gefunden?« Wenn sie es schafften, ihn ausfindig zu machen … Ihm rutschte das Herz in die Hose.
»Na glaubst du, wir kennen die Lücken unseres eigenen Zaubers nicht? Wir haben sie extra für uns eingerichtet.« Ein selbstgefälliges Grinsen huschte über ihr Gesicht.
Sebastian setzte sich neben sie und blickte zum Wasser. »Ihr wisst nicht, worauf ihr euch einlasst.«
»Wissen wir. Vermutlich besser, als du glaubst.« Sie klopfte ihm auf die Schulter.
Er sah sie an. Der zarte Wind spielte mit ihrem brünetten Haar und sorgte
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