Teuflische Kuesse
Gebetbuch hinhielt, zog Sterling sich seinen Siegelring vom
Finger. Der Pfarrer gab ihm den Ring
zurück, und Sterling steckte ihn Laura an den Finger. Doch diesmal sah er sie
nicht liebevoll an, wie er es im sonnenhellen Kirchenschiff von St. Michael
getan hatte, sondern argwöhnisch. Sie musste die Hand zur Faust ballen, um den
Ring am Finger zu behalten. Der Rubin allein hätte ausgereicht, einen König
aus Geiselhaft freizukaufen. Doch der Ring wog so schwer, dass er Laura wie
eine eiserne Fessel erschien. Sterling wusste nicht, dass der Granatring
seiner Mutter an einem billigen Silberkettchen zwischen ihren Brüsten hing.
Bevor Laura
noch richtig begriffen hatte, dass sie gerade zum zweiten Mal innerhalb zweier
Tage geheiratet hatte, bugsierte man sie schon in die Kutsche zurück und machte
sich auf nach Devonbrooke
Hall. Laura duckte sich rasch durch den Regen zur Eingangstür des Anwesens und
konnte sich deshalb nur ein vages Bild machen von dem enormen Steingebäude mit
den hohen Bogenfenstern, das einen ganzen Block in einer der vornehmsten
Gegenden des Londoner West Ends einnahm.
Jemand
hatte Bescheid gegeben, dass der Herzog und seine Braut eintreffen würden, denn
im düsteren Foyer erwartete sie bereits ein Kammerdiener mit dünnem Haar und
leichtem Buckel, einen flackernden Kandelaber in der behandschuhten Hand. Doch
das Kerzenlicht ließ das Dunkel nur noch augenfälliger werden. Und Laura
fühlte förmlich, wie ihr die Kälte des Marmorbodens durch die Schuhsohlen
kroch.
Während aus
den Schatten ein Lakai auftauchte, um ihr Hut und Mantel abzunehmen, sprach der
Kammerdiener: »Guten Abend, Euer Gnaden.«
Als Laura
nichts sagte, versetzte Diana ihr einen Stoß. »Er hat Sie gemeint, Laura«,
flüsterte sie.
Laura
schaute sich um und musste feststellen, dass Sterling irgendwo in den Tiefen
des Hauses verschwunden war, mitsamt den Hunden und dem Marquess of
Gillingham. »Oh!«, rief sie aus. »Auch Ihnen einen guten Abend, Sir!« Sie
machte einen ungelenken, ruckartigen Knicks. Dann fiel ihr ein, dass
Herzoginnen mutmaßlich nicht vor der Dienerschaft knicksten.
Glücklicherweise
war der Kammerdiener entweder zu höflich oder zu routiniert, sich etwas
anmerken zu lassen. »Wenn Sie so freundlich wären, mir zu folgen, Euer Gnaden,
dann zeige ich Ihnen die Herzoginnen-Suite. Die Dienerschaft hat den ganzen
Nachmittag darauf verwendet, Ihre Gemächer bequem herzurichten.«
»Wie
überaus freundlich«, antwortete Laura. »Aber die Dienerschaft hätte meinetwegen
nicht solche Umstände machen sollen.«
Diana
seufzte und nahm dem Kammerdiener den Kandelaber ab. »Sie dürfen sich
entfernen, Addison. Ich selbst werde die Herzogin zu ihren Räumlichkeiten
geleiten.«
»Wie Sie
wünschen, Mylady.« Er verbeugte sich zwar vor Diana, aber Laura hätte
geschworen, dass seine braunen Augen allein ihretwegen leuchteten.
Diana lief
mit so hurtigen Schritten die geschwungene Treppe hinauf, dass Laura sich zu
leichtem Trab genötigt sah. »Sie brauchen
den Bediensteten nicht dafür zu danken, dass sie Sie bedienen. Schließlich
werden sie genau dafür bezahlt. Wenn sie ihre Pflichten nicht in
zufriedenstellender Weise erfüllen, werden sie –«
»Ausgepeitscht
?«, warf Laura ein. »Gevierteilt?«
»Entlassen«,
entgegnete Diana und warf Laura über die Schulter einen vernichtenden Blick zu,
während sie endlose, mit
dunklem, wuchtigen Mahagoni vertäfelte Gänge entlangliefen. »Ich bin nicht
ganz das Scheusal, für das Sie mich halten.«
»Und ich
nicht die ränkeschmiedende Glücksritterin. Sie haben Ihren Cousin heute Morgen
selbst gehört. Er hat mich quasi zur Heirat gezwungen.«
Diana
schoss derartig schnell herum, dass Laura ein Stück nach hinten hopsen musste,
damit ihr Haar nicht in Flammen aufging.
»Und hat er Sie auch dazu gezwungen, mit ihm zu schlafen?« Diana nahm mit
sichtbarer Genugtuung zur Kenntnis, dass Laura errötete. »Ich kann mir das
jedenfalls nicht vorstellen. Sterling mag jede Menge Eigenheiten haben. Aber
ich wüsste nicht, dass er je eine Frau gegen deren erklärten Willen verführt
hätte.«
Diana eilte
weiter voran. Laura blieb nichts anderes übrig, als ihr nachzulaufen, wenn sie
nicht auf alle Zeiten in dem verwirrenden Labyrinth aus Treppen, Fluren und
Galerien verloren gehen wollte.
Die Suite
der Herzogin – ein Schlafgemach, ein Salon und ein Ankleidezimmer – waren mit
dem gleichen Mahagoni vertäfelt und mit demselben erdrückenden Luxus
ausgestattet wie der
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