Teuflische Stiche
sein Handy. Bevor er es aus der Hosentasche fummeln konnte, verstummte es. Auf dem Display stand eine Nummer, die er nicht kannte.
Zehn Minuten später die gleiche Prozedur, doch diesmal war Konnert schnell genug, und es meldete sich die schöne Gertrud. »Herr Hauptkommissar, habe ich Sie geweckt? Das tut mir leid. Das wollte ich nicht. Entschuldigen Sie.«
»Ist in Ordnung. Ich bin beim Frühstück.«
»Ich liege mit einer starken Erkältung im Bett. Sagen Sie mir bitte, wie geht es Sibelius? Sie haben ihn doch gestern getroffen. Was hat er gesagt?«
»So plötzlich er erschienen ist, so überraschend ist er auch wieder verschwunden. Mehr darf ich Ihnen aus ermittlungstechnischen Gründen nicht verraten.«
»Schade.« Die Augenblicke dehnten sich, weil die schöne Gertrud beharrlich schwieg und Konnert nicht bereit war mehr preiszugeben.
»Herr Hauptkommissar. Ich bin mir absolut sicher, dass Sibelius kein Mörder ist. Könnte es nicht sein, dass er sich versteckt, weil er befürchtet, das nächste Opfer zu werden? Es macht mich ganz kribbelig, wenn ich mir ausmale, wie er hungrig und durstig in diesen doch noch kühlen Frühlingstagen irgendwo in einer verlassenen Scheune liegt oder in der Nacht umherirrt, um etwas zu essen zu finden. Was meinen Sie?«
Wie kann ich bloß dieses Gespräch halbwegs freundlich beenden? »Dazu habe ich keine Meinung, Frau …« Er blickte kurz zu seinem Gegenüber. Der schien nicht interessiert, aber Konnert war sicher, dass er nur so tat, und sprach den Namen nicht aus.
»Während ich hier liege, Herr Hauptkommissar, denke ich die ganze Zeit darüber nach, was ich tun könnte, um Sibelius von diesem schrecklichen Verdacht zu befreien. Wenn Ihnen etwas einfällt, was ich unternehmen kann, dann sagen Sie es mir bitte. An Sibelius … an Herrn von Eck liegt mir viel.«
»Vielen Dank für Ihr Angebot. Ich wünsche Ihnen gute Besserung und einen erholsamen Tag.« Schleunigst würgte er das Gespräch ab, bevor die schöne Gertrud eine weitere Frage stellen konnte. Sie hatte ihn offensichtlich aushorchen wollen.
»Manchmal kann man sich nicht anders helfen als schnell aufzulegen«, kommentierte Gregor Geiger. »Ich kenne das. Handys sind nicht nur ein Segen.«
Konnert widmete sich einem Brötchen. Wann bekommt Zahra ihren nächsten freien Tag? Dann muss ich nicht hier sitzen, um am Morgen ein paar Minuten in ihrer Nähe zu sein. Er ging mit seinem Kaffeebecher zum Nachschenken an die Theke. Als sie dabei wie unabsichtlich seine Hand sanft berührte, kam es ihm so vor, als spränge ihre Lebenslust wie ein Funke zu ihm über. Mit einem Mal strahlten auch seine Augen. Als er sich für den Kaffee bedankte, hatte seine Stimme einen beschwingten Unterton.
Der Tisch, auf dem die Reste seines Frühstücks standen, war unbesetzt. Der aufdringliche Herr lehnte vor der Tür an einem Werbeschild und rauchte. Weil er auf dem Weg nach draußen sein Geschirr abgeräumt hatte, konnte Konnert endlich seine Zeitung aufschlagen und im Regionalteil die Berichterstattung über seinen Fall lesen.
Alois Weis hatte einen Kommentar zur bevorstehenden Demonstration »Pro saubere Stadt« geschrieben. Er beschäftigte sich weniger mit Müll und Ratten und mehr mit den im Flugblatt genannten Menschengruppen. Was einige Zeitgenossen für Dreck hielten und aus der Stadt treiben wollten, sähen andere als noch zu hebenden Schatz an. Sie würden die Stadt mit zusätzlichen Facetten bereichern. Weil aus einer unscheinbaren Raupe ein bunter Schmetterling werden könne, sollten die Bürger Oldenburgs alles unterstützen, was benachteiligten Gruppen die Chance eröffnete, sich positiv zu entwickeln. Statt gegen sie zu demonstrieren, bräuchten sie das Engagement wohlmeinender Bürger.
Was die Drogendealer und Zuhälter anging, konnte Konnert dem Beitrag nicht so ohne weiteres zustimmen. Er war aber sehr wohl in der Lage, die Aufforderung zu einer Gegendemonstration am Nachmittag herauszulesen und sich darüber zu freuen.
Mit dem Wechselgeld bekam er einen Zettel. Er las: »Morgen habe ich die späte Schicht, Frühstück bei mir um acht Uhr, bring Brötchen mit, ild Zahra.«
***
Mit einem Stapel Fotos, den er sich gerade aus dem Fotolabor geholt hatte, setzte Konnert sich an seinen Schreibtisch. Warum liegt die Leiche nicht auf dem Sofa, sondern daneben, vor dem niedrigen Couchtisch? Ist Renate Dreher allein gewesen, als sie gestorben ist? Aber jemand hat doch anschließend sauber gemacht. Sogar unter ihr!
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