Teuflische Stiche
Virginiatabak hatte er sich für besondere Momente aufgehoben. Kurz darauf saß er auf seiner Terrasse und genoss den Anflug eines Geschmacks nach getrocknetem Obst. Reiner Tabak, keine Aromazusätze, so wie er es mochte.
Der Anruf hatte ihn aus tiefem Schlaf gerissen, beunruhigte ihn aber nicht. Wehmeyer wird mit Struß gesprochen haben, und der verarbeitet die Entscheidung des Chefs, indem er sich betrinkt und einen Schuldigen sucht, den er beschimpfen kann. Als wenn Beleidigungen eine gute Strategie zum Frustabbau wären. Mit einem Blick zum bewölkten Himmel nahm Konnert sich vor, seinem Kollegen weiter ohne Vorbehalte zu begegnen. Er ist so, wie er ist. Wer weiß, was ihm passiert ist und ihn so werden ließ, sagte er sich im Stillen.
Es hätte auch mein Schwiegersohn sein können, fiel ihm ein. Der hätte »frommes Arschloch« gesagt. Wo mag er diese Nacht untergekrochen sein? Konnert erinnerte sich an sein Angebot, Tochter und Ehemann in sein Haus aufzunehmen. Er nahm die Pfeife aus dem Mund und presste die Lippen aufeinander. Dabei stierte er ins Dunkel seines halb verwilderten Gartens. Sie hätten sich hier wohlfühlen können. Hätten, aber sie wollten mein Angebot nicht annehmen. Zu stolz, um sich helfen zu lassen.
Kälte kroch unter Konnerts Bademantel. Er ging ins Haus und suchte nach etwas Süßem. In einer Hand den Kaffeebecher, im Mund die Pfeife und in der anderen hohlen Hand krümelige Kekse, trat er wieder nach draußen.
Grübelnd drifteten seine Gedanken hinüber zu seinem Berufsalltag. Es gab und gibt immer welche, die mir das Leben schwer machen. Er dachte wieder an Struß. Warum stänkert er im Amt gegen mich und ruft in der Nacht an, um mich zu beschimpfen? Warum kehrt die Staatsanwältin gleich an ihrem ersten Tag mit grobem Besen durch meinen Bereich? Gelingt es mir nicht, Respekt einzufordern? Aber ich will doch gar nicht fordern. Ich will mit allen in Frieden leben, mehr nicht.
Mechanisch hatte er sich die Kekse in den Mund geschoben. Pfeife und Kaffeerest waren kalt geworden. Ihn fröstelte. Ohne darüber nachzudenken, zündete er den Tabak wieder an. Das Kondensat blubberte. Er stapfte ins Haus, um sich einen Pfeifenreiniger zu holen. Im Wohnzimmer blieb er stehen, stocherte durch das Mundstück und begann, mit Argumenten gegen seine dunkle Stimmung anzugehen.
Bilder von unbeschwertem Toben mit seinen Kindern, vom Radfahrenlernen und gemeinsamen Monopolyspielen beschwor er herauf. Er suchte nach Beispielen geglückter Zusammenarbeit mit Kollegen und Vorgesetzten. Auch besann er sich auf anerkennende Äußerungen über seine Lebensführung. Aber irgendwie fallen mir in jedes Argument einige Tropfen Galle. Immer muss ich in diesen Erinnerungen auch die Mängel und dunklen Flecken entdecken. Ich kann Situationen schlicht und einfach nicht einseitig sehen. Je mehr er versuchte, sich gegen die negativen Gedanken zu wehren, umso intensiver er dagegen anging, desto stärker zogen sie ihn runter.
Aber noch war die Pfeife nicht ausgeraucht.
Konnert knotete den Gürtel seines Bademantels fester. Das weckte Erinnerungen an einen Judolehrgang vor vielen Jahren. Er lächelte. Was habe ich mir Mühe gegeben, die Würfe und Falltechniken, das Drehen am Boden und die verschiedenen Konterbewegungen einzuüben. Trotzdem bin ich häufiger unterlegen gewesen als jeder andere Kursteilnehmer. Beide Augen haben die Prüfer zudrücken müssen, damit sie mir zum 1. Dan den schwarzen Gürtel überreichen konnten. Nie wieder habe ich eine der Techniken angewandt. Aber die Grundidee vom Judo gefällt mir. Gewinnen durch Nachgeben, maximale Ergebnisse erzielen mit Hilfe der gegnerischen Kraft.
In Gottes Namen, Konnert entschied wieder einmal, ich werde mein Leben nicht von negativen Äußerungen und Anfeindungen fremdbestimmen lassen. Sollen sie doch stänkern und versuchen, mir das Leben schwer zu machen. Ich werde nicht gegen sie angehen. Ich tue, was ich kann, mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen, da wo ich bin, und so gut, wie es mir möglich ist. Den Satz kannte er auswendig. Unzählige Male hatte er ihn sich in ähnlichen Situationen aufgesagt. Mehr erwartet Gott nicht von mir, und mehr kann niemand anderes von mir verlangen. Mehr darf auch ich nicht von mir fordern. »Ende der Veranstaltung«, sagte er laut.
Wie zur eigenen Bestätigung blies er einen letzten Schwall Rauch durch die Nase aus und kratzte die Asche aus der Pfeife.
Zum zweiten Mal in dieser Nacht wurde Konnert
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