Teuflische Stiche
er den Raum und öffnete die Glastür zu Venske. »Ist Konnert noch nicht zurück?«
»Er war nicht wieder hier.«
»Spaziergänger haben Karl Dreher gefunden. Er hat sich im Wald beim Woldsee erhängt. Benachrichtigen Sie Konnert!« Damit drehte er sich um und eilte durch das Großraumbüro, ohne nach links oder rechts zu blicken.
Venske fluchte. Dann informierte er die anderen Kommissare und verabschiedete sich mit den Worten: »Wetten, er sitzt auf dem Friedhof und pafft?«
Zehn Minuten später durchstreifte Venske die Gräberanlagen. In der äußersten Ecke des südlichen Teils fand er seinen Chef vornübergebeugt auf einer Bank sitzen. Konnert schreckte auf, als sein Kollege neben ihn trat. »Wir suchen dich! Vor allem Wehmeyer. Dreher ist tot. Er hat den Strick gewählt.«
Konnert reagierte erst nicht. Dann ließ er sich nach hinten fallen. Die Rückenlehne fing ihn auf. Stumm stierte er über das Urnenfeld. Seine Hände krampften sich in die Oberschenkel, seine Schultern hingen herab. In seinem Gesicht, das wie eine Totenmaske aus Granit wirkte, senkten sich träge die Augenlider.
»Lass mich bitte einen Moment allein. Geh ruhig schon. Ich komme nach«, flüsterte er.
Venske ließ seinen Vorgesetzten in einem Zustand zurück, den er von Müttern kannte, denen er die Nachricht vom Unfalltod eines Kindes überbringen musste. Oder Vätern von angeblich wohlerzogenen Kindern, denen er mitgeteilt hatte, dass diese wegen Drogenhehlerei verhaftet worden seien. Konnert stand eindeutig unter Schock, und er fragte sich, warum der Tod von Karl Dreher ihn so mitnahm.
***
Sein Herz schlug wild. Er fasste sich in den Hemdkragen und zog auch sein Unterhemd vom Hals weg. Mit tiefen Atemzügen versuchte Konnert, sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen. Seine Augen tasteten vor ihm die Grünflächen ab und blieben an einer zerbrochenen Blumenschale hängen. Um sie herum war das Gras nicht gemäht worden. Konnert stellte sich vor, wie der Friedhofsgärtner mit seinem Mähtrecker die Schale angestoßen, etwas zurückgesetzt hatte und dann an ihr vorbeigefahren war. Über die verbliebenen Halme hinweg ragten die bräunlichen Köpfe von verblühten Narzissen. Sein eigener Rasen kam ihm in den Sinn und dass er ihn noch vertikutieren wollte.
Mit einem Mal meinte er die Stimme von Karl Dreher zu hören: »Ich hab meine Frau umgebracht.« Er flüsterte: »Und ich bin schuld an deinem Tod.«
Nach einer ganzen Weile schüttelte er sich. Erst jetzt hörte er die Geräusche der nahen Autobahn wieder.
Ich bin erledigt. Egal, was Wehmeyer sagt. Oder die Staatsanwältin. Schlagworte jagten sich in seinem Gehirn: Einleitung eines Verfahrens. Fahrlässige Tötung durch Unterlassen. Beurlaubung. Disziplinarverfahren. Entfernung aus dem Dienst.
Wenn ich nichts sage, weiß niemand, dass Dreher mich angerufen hat. Ich muss mich nur zusammenreißen und einfach meinen Job machen. Irgendwann komme ich darüber weg. Und wenn sie Drehers Telefonkontakte kontrollieren? Das werden sie nicht. Es ist ein ganz normaler Selbstmord. Und wenn sie doch nachprüfen? Sie? Dafür bin ich selbst zuständig! Also keine Untersuchung. Den Leichnam freigeben und fertig.
Sein Blick schweifte ab. Rechts hatte der Landschaftsplaner zwei bräunlich melierte Steinplatten im Abstand von vielleicht fünfzig Zentimetern aufrichten lassen. Sie hatten waagerechte Ausschnitte, die mit dem senkrechten Spalt ein Kreuz bildeten. Konnert konnte hindurchsehen und jenseits eines Weges die hellgrünen Blätter junger Linden erkennen.
Zahra! Werde ich ihr von Dreher und seinem Anruf erzählen? Will ich vor ihr ein Geheimnis haben?
Plötzlich haute er seine beiden Hände auf die Oberschenkel. Was bin ich für ein Trottel. Ich hätte auf meinen Vorgesetzten hören und Urlaub nehmen sollen. Er meint es wie immer gut mit mir. Aber nein, ich muss seinen Rat in den Wind schlagen. Und das nur, weil ich zu feige bin, ein paar Tage allein zu Hause zu bleiben. Statt gemütlich auf meiner Terrasse zu sitzen und zu rauchen, hocke ich auf dem Friedhof.
Wieder kam ihm der tote Dreher in den Sinn und der Gedanke, dass er schuldig an dessen Tod sei, traf ihn erneut mit voller Wucht. Mit feuchten Augen blickte er vor sich und sah doch nichts. Er war ganz in sich versunken.
Die Minuten verstrichen. Irgendwann fummelte er seine Uhr aus der rechten Hosentasche. Wann war Venske hier gewesen? Wie lange grüble ich schon vor mich hin? Wehmeyer wartet auf mich.
Mühselig rappelte er
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