Texas
entgegen, die von der Fahrt zum Übergang zurückkehrten. In der Abenddämmerung hielten die Emigranten an einer einsamen Stelle östlich von Banderas. Dort mußte sich Cándido entscheiden: »Also willst du auch hinüber oder kommst du mit mir zurück? Fünfzehn Dollar, wenn du hinüber willst.« Der Junge antwortete, ohne zu überlegen: »Ich gehe mit meiner Schwester.«
An dieser Stelle war der Rio Grande so seicht, daß ihn die Mexikaner beinahe gänzlich zu Fuß überqueren konnten und nur die letzten Meter ans amerikanische Ufer schwimmen mußten. Dort hatten sich zwei Mexikaner postiert, die den Frauen halfen. Nachdem alle sicher an Land gelangt waren, blinkte El Lobo mit den Scheinwerfern seines Lasters und verschwand.
Sie befanden sich in der einsamsten Gegend von Texas. Das Gelände war teilweise felsig, wies Steilhänge auf, es gab keine Bäume, und ins Land führten nur Karrenwege. Es wirkte so bedrohlich, daß Cándido froh war, bei seiner Schwester geblieben zu sein.
Die achtzehn Einwanderer wurden zu einem schäbigen Lastwagen geführt. Bevor sie hinaufklettern durften, knurrte ein Mann namens Hanson: »Fünfzehn Dollar, und ich bringe euch auf einer Nebenstraße nach Fort Stockton.« Er postierte sich im Licht der aufgeblendeten Scheinwerfer und überprüfte die Zahlungen. Als alle ihren Beitrag geleistet hatten, verstaute er die Mexikaner und fuhr nach Norden. Während der Fahrt saß ein Aufpasser auf dem Dach des Führerhauses und richtete eine Schrotflinte auf die Passagiere.
»Versucht ja nicht abzuspringen«, warnte er sie. »Wir wollen La Migra nicht zeigen, wo wir uns herumtreiben.«
Um vier Uhr morgens, als sie bereits weit vom Fluß entfernt waren, erkannte der Fahrer, daß er die Möglichkeit hatte, gefahrlos eine Menge Geld zu verdienen, ließ den Motor stottern und dann absterben. »Verdammt«, schrie er, »das müssen wir reparieren.« Er befahl den Mexikanern, vom Lastwagen zu klettern und nicht in seine Nähe zu kommen, während er am Motor herumwerkte. Der Motor sprang bald wieder an und lief dann gleichmäßig. Die Mexikaner rannten auf den »reparierten« Lastwagen zu, mußten zu ihrem großen Entsetzen jedoch mitansehen, wie die beiden Anglos Gas gaben, durch die Wüste davonfuhren und sie ohne Führer, ohne Nahrung und vor allem ohne Wasser zurückließen.
Es war ein Marsch durch die Hölle. Am zweiten Tag um zehn Uhr vormittags, als die Sonne hoch am Himmel stand, starb der erste Mann, ein etwa vierzigjähriger Mexikaner, dessen geschwollene Zunge seine gesamte Mundhöhle ausfüllte. Eine Stunde später waren sechs weitere tot. Die beiden Guzmáns lebten noch. »Manuela«, flüsterte Cándido, »wir müssen Pflanzen suchen, irgend etwas.«
Sie fanden nichts, keinen der großen Kakteen, die in solchen Fällen Menschen oft das Leben gerettet hatten, und zu Mittag starben weitere drei Illegale. Der Himmel über ihnen war eine blaue Wölbung, und die Sonne brannte erbarmungslos auf die unglücklichen Mexikaner herunter. In der schrecklichen Hitze des späten Nachmittags flehte Manuela zum letzten Mal keuchend um Wasser und starb.
Drei Männer schafften es bis zum Highway 80, zweihundertzwanzig Kilometer westlich von Fort Stockton. Verzweifelt versuchten sie, Autofahrer anzuhalten, aber keiner blieb stehen. Cándido warf sich schließlich vor einen näherkommenden Wagen, während seine Gefährten wie wild winkten. Es wäre gar nicht notwendig gewesen. Denn der Mann im Wagen war Talbot, der sie gesucht hatte.
»Die armen Hunde«, sagte er zu seinem Partner, »verschaffen wir ihnen etwas zum Trinken.« Sie fuhren nach Van Horn im Osten, wo Talbot die drei ins Gefängnis steckte, allerdings erst nachdem er sie mit so viel Flüssigkeit versorgt hatte, wie sie trinken konnten.
Sie wurden natürlich nach Mexiko zurückgebracht. Weil sich Cándido zu sehr schämte, kehrte er nicht nach Moctezuma zurück, um seiner Familie von Manuelas Tod zu berichten, sondern stahl sich abermals nach El Paso, fand Arbeit, sparte, kaufte ein Gewehr, ließ sich einen Schnurrbart wachsen, um sein Aussehen zu verändern, und suchte El Lobo auf, als hätte er ihn nie gesehen. »Stimmt es, daß du Leute in die Estados Unidos bringst?«
»Fünfzehn Dollar für mich, fünfzehn für die Männer jenseits der Grenze.«
Diesmal fuhr eine Gruppe von neunzehn Illegalen den Rio Grande entlang nach Banderas, wo die Emigranten den geforderten Betrag bezahlten und über den Fluß schwammen. Auf der anderen Seite
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