The Acid House (German Edition)
mit der Uni angefangen, sie studierte Modedesign, und wegen meiner Arbeitszeiten im Hotel waren wir wie Schiffe, die sich in der Nacht begegnen; ich dachte deshalb schon daran, den Job hinzuschmeißen und mir einen anderen zu suchen. Ich hatte bereits ein ganz nettes Sümmchen Gulden angespart.
Darüber dachte ich eines Nachmittags nach, als ich jemanden an die Tür hämmern hörte. Es war Richard, und als ich öffnete, spuckte er mir ins Gesicht. Ich war zu geschockt, um wütend zu werden. – Dreckiger Mörder! sagte er hasserfüllt.
– Was … Ich wusste es, aber ich wollte es nicht wahrhaben.
– Chrissie ist tot.
– Oosterdok … das war Chrissie …
– Ja, das war Chrissie. Jetzt bist du wohl endlich zufrieden.
– NEE MANN … NEE! protestierte ich.
– Lügner! Dreckiger Heuchler! Du hast sie wie Scheiße behandelt. Du und andere wie du! Du warst nicht gut für sie. Hast sie benutzt wie einen Putzlappen und dann weggeworfen. Hast ihre Schwäche ausgenutzt, ihr Bedürfnis, zu geben. Das haben doch alle immer getan.
– Nee! So war das nicht, sagte ich flehend, obwohl ich sehr gut wusste, dass es genau so gewesen war.
Er stand eine Weile da und sah mich an. Es schien, als würde er durch mich hindurch auf etwas starren, das aus meinem Blickwinkel nicht zu sehen war. Ich brach das Schweigen, das vielleicht nur Sekunden gedauert hatte, die mir jedoch wie Minuten erschienen. – Ich will zur Beerdigung gehen, Richard.
Er grinste mich grausam an. – Auf Jersey? Da fährst du nicht hin.
– Die Kanalinseln …, sagte ich zögernd. Ich hatte nicht gewusst, dass Chrissie von dort kam. – Ich fahre hin, erklärte ich ihm. Ich war entschlossen, hinzufahren. Ich fühlte mich hinlänglich schuldig. Ich musste hinfahren.
Richard musterte mich verächtlich, begann dann mit leiser, prägnanter Stimme zu sprechen: – St. Helier, Jersey. Das Haus von Robert Le Marchand, Chrissies Vater. Die Beerdigung ist nächsten Dienstag. Ihre Schwester war hier, um die Formalitäten für die Überführung der Leiche zu regeln.
– Ich will hinfahren. Du auch?
Er lachte höhnisch auf. – Nein. Sie ist tot. Ich wollte ihr helfen, als sie noch gelebt hat. Er drehte sich um und ging.Ich sah seinem Rücken nach, wie er ins Nichts entschwand, dann trat ich, unkontrolliert zitternd, in die Wohnung zurück.
Ich musste bis Dienstag irgendwie nach St. Helier kommen. Wo genau die Le Marchands wohnten, würde ich herausfinden, wenn ich dort ankam. Anna wollte mitkommen. Ich sagte ihr, ich würde ein erbärmlicher Reisegefährte sein, aber sie bestand darauf. Begleitet von ihr und einem Gefühl der Schuld, das in die Karosserie des Mietwagens einzusickern schien, fuhr ich die europäischen Autobahnen hinunter, durch Holland, Belgien und Frankreich zur kleinen Hafenstadt St. Malo. Ich begann nachzudenken, über Chrissie, ja, aber auch über andere Dinge, mit denen ich mich normalerweise nie beschäftigt hätte. Ich begann über die Politik der europäischen Integration nachzudenken, ob das eine gute oder schlechte Sache war. Ich versuchte, die Visionen der Politiker mit dem Paradoxon zu vereinbaren, das ich in den Kilometern dieser hässlichen Autobahnen Europas sah; geradezu absurde Gegensätze, durch ein unerbittliches Schicksal aneinandergeschweißt. Die Politikervisionen schienen nur wieder die üblichen Schwindelgeschäfte oder krassen Machtspielchen zu sein. Wir fraßen die öden Straßenkilometer, ehe wir St. Malo erreichten. Nachdem wir in ein billiges Hotel eingecheckt hatten, betranken Anna und ich uns hemmungslos. Am nächsten Morgen gingen wir an Bord der Fähre nach Jersey.
Wir kamen am Montagnachmittag an und suchten uns wieder ein Hotel. In der Jersey Evening Post waren keine Beerdigungen angekündigt. Ich nahm mir ein Telefonbuch und sah unter Le Marchand nach. Es gab sechs, aber nur einen R. Am anderen Ende des Hörers war eine Männerstimme.
– Hallo.
– Hallo. Könnte ich mit Mister Robert Le Marchand sprechen?
– Am Apparat.
– Es tut mir wirklich leid, Sie in dieser Zeit zu belästigen. Wir sind Freunde von Chrissie, wir sind zur Beerdigung aus Holland gekommen. Uns wurde gesagt, sie sei morgen. Wäre es Ihnen recht, wenn wir hinkämen?
– Aus Holland? antwortete er müde.
– Ja. Wir wohnen im Gardener’s Hotel.
– Tja, Sie sind einen weiten Weg hergekommen, konstatierte er. Sein feudaler, kühler englischer Akzent biss in den Ohren. – Das Begräbnis ist um zehn. St. Thomas’s Chapel.
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